Das Sechste Haus
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 Betreff des Beitrags: Kleine Geschichte
BeitragVerfasst: Fr 2. Jan 2009, 12:29 
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Tja, ich weiß nicht, aber ich war von meinen ersten Schritten im Craften so gefangen (und froh, wenn ich den Durchblick hatte), dass ich mir dachte, darüber könntest du glatt ne Geschichte schreiben. Dann dachte ich, mach´s doch einfach, bevor dir die Begeisterung ausgeht. Es ist ohnehin einfacher, als über´s Adventuring zu schreiben (darüber gibt es sicher schon genug Geschichten). Außerdem reizte mich dieses angeblich "trockene" Thema ;P
Zum Glück bin ich im Craften noch nicht so weit, ich wüsste nicht, wie ich Komplikationen ums Punkte verteilen umschreiben sollte :P
Also hier die Nacherzählung der vergangenen Tage:

Saria sah sich ein wenig scheu um.
Sie stand vor einer riesigen, aus massivem Holz erbauten Scheune, die ihr fremd erschien, war sie doch in der Gegend um die liebevoll gestalteten Häuser von Kojan aufgewachsen. Doch zu lange war es her, dass sie diesen Kontinent betreten hatte und so fragte sie die Einheimischen von Thestra, wo sie mit ihrer Schneiderlehre beginnen sollte. Tursh war ein verschlafenes, kleines Dörfchen, in dem Nachts außer dem Zirpen der Grillen und der müden Schritte der ausgelaugten Bauern nichts zu vernehmen war - doch dennoch war die Halbelfin fremd hier und tastete sich nur zaghaft an seine Einwohner heran.
Die Druidin zog ihre Robe etwas enger um ihren kleinen Körper; bisher war sie vielmehr darauf erpicht gewesen, Untoten und grauenvollen Monstern den Garaus zu machen. Eine Lehre bedeutete jedoch mehr Verständnis und Anerkennung. Sie zweifelte daran, dass sie beides bekommen würde. In der nahenden Dunkelheit erkannte sie eine Gestalt vor der für das riesige Gebäude erstaunlich winzige Tür - beinahe hätte sie diese nicht entdeckt - und näherte sich ihr. Verunsichert schaute sie den Mann an, der sich vor ihr aufbaute. "Ich...ich suche nach Arbeit", stammelte sie. Der Mann lachte laut auf. "Soso, du suchst also Arbeit?" Mit hochgezogener Augenbraue schaute er sie an. "Nun, ich gebe dir vorerst drei Aufgaben, die du erledigen kannst - du wirst schon sehen, welche zu dir passen. Im Inneren der Scheune sollten genügend Werkzeuge für dich bereitstehen." Er musterte sie mit unergründlichem Blick. "Ich will mal nicht so sein", fuhr er dann fort, "die benötigten Dinge für die Arbeit gebe ich dir mit, falls du sie brauchst." Saria atmete erleichtert auf; zum Glück verbarg ihr dunkler Teint die Schamesröte, die sie überkam. Sie bat den Mann um ein paar Anweisungen und Zutaten, die sie für ihre gewählte Arbeit brauchte. Dann öffnete sie die winzige Tür zur großen Scheune; Schatten überfielen sie und erneut blickte sie sich um. Vor ihr stand eine hochgewachsene, abweisend aussehende Frau - Saria wusste, dass diese ebenfalls Arbeiten vergab, doch sie hatte nicht den Mut, sie anzusprechen. Vermutlich musste sie dafür erst ihr Können unter Beweis stellen, so dachte sie. Sie befand sich in einer Art Halle, in der sich links und rechts von ihr weitere Türen befanden. Da Saria hier nirgends nützliche Werkzeuge entdecken konnte, öffnete sie jede dieser Türen, um einen Blick in die angrenzenden Räume zu werfen. In einigen fand sie grübelnde, sogar weinende Lehrlinge vor, vor denen sie sich schnellstens zurückzog. Im letzten jedoch strahlte einer von ihnen vor Freude und dies gab ihr Hoffnung. Hier fand sie auch die Utensilien, die sie brauchte. Schüchtern blickte sie auf den Arbeiter neben ihr. Er schien ganz in seine Arbeit versunken und sie nicht zu bemerken. Hin und wieder murmelte er etwas vor sich hin und sah mit einem grüblerischen Gesichtsausdruck auf den unfertigen Stoff vor sich. Saria seufzte leise und legte das ihr mitgegebene Material vor sich auf einen Arbeitstisch, um es nach den Wünschen des Auftraggebers umzuwandeln.

Sie arbeitete bis tief in die Nacht und als sie müde das letzte Stück Stoff in ihren Beutel steckte, war um sie herum Totenstille und der Mond erschien als leuchtende Kugel am tiefschwarzen Himmel. Beinahe befürchtete sie, ihr Auftraggeber wäre zu Bett gegangen, doch sie fand ihn erneut, allein und verträumt über die eingezäunten Felder blickend, am Weg vor der Scheune. Ein wenig schüchtern sprach sie ihn an und hielt ihm das Bündel Stoff hin. Er nahm es entgegen und begutachtete es aufmerksam. Dann räusperte er sich kurz. "Nun, Saria", begann er, "diese Teile hier sind in Ordnung. Jedoch sehe ich auch, dass du noch viel zu lernen hast. Ich gebe dir trotzdem eine entsprechende Belohnung, die dir vielleicht auf deinem Weg weiterhelfen wird." Er gab ihr ein kleines Beutelchen, welches sie unter ihren Umhang steckte. "Es ist nicht viel", fuhr er fort, aber wenn du weiter fleißig für uns arbeitest, werden dir nicht nur weitere Belohnungen, sondern auch die Gunst unserer Mitbewohner sicher sein. Außerdem wirst du Zugang zu anderen Aufträgen bekommen, sobald du dich in deinen Fertigkeiten verbessert hast. Geh nun ins Bett; du kannst in der Scheune schlafen. Am nächsten Tag wirst du dich besser konzentrieren können. Dann solltest du auch meinen Mitarbeiter fragen," - er wies mit einem groben Finger auf einen anderen Mann, der gleichfalls verträumt auf der anderen Seite des Weges stand - "ob er dich in die Vollendung der Stoffe einweisen würde. Ich bin mir sicher, dass er, so wie ich, ein paar Aufträge für dich hat, die für dich von Bedeutung sind."
Saria nickte stumm; sie konnte kaum noch die Augen offenhalten. Dann ging sie wieder in die Scheune. Von hinten sah es aus, als würde sie von ihr verschluckt. Dort gab sie sich einem tiefen, traumlosen Schlaf hin, unbewusst die Arbeitsschritte des Tages vor sich hinmurmelnd.
Hahnenschreie wiesen sie darauf hin, dass es früh am Morgen war. Sie öffnete verschlafen ein Auge nach dem anderen und versuchte ihre klammen Glieder, die am harten Boden der Scheune festgefroren zu sein schienen, vorsichtig zu strecken. Ein Schmerz fuhr ihr durch die Schulter und sie verzog das Gesicht. Eigentlich schien jeder Muskel zu schmerzen; sie erinnerte sich an ihre gebückte Haltung am Arbeitstisch. Nun, diese würde sie heute ebenfalls einnehmen müssen und sie wappnete sich innerlich ein wenig dagegen. Sie hatte sich die Ausbildung nicht so langwierig und kompliziert vorgestellt. Dennoch kämpfte die innere Ablehnung mit einer Art Feuer, welches sich in ihr ausbreitete. Sie bemerkte überrascht, dass nicht nur ihr Arbeitgeber, sondern auch sie selbst nun eine hohe Erwartung an sich stellte. Sie erhob sich langsam und machte sich auf den Weg zu ihm und seinem Gefährten.

Von nun an führte Saria unzählige Aufträge für die kleine Stadt aus und merkte, wie sich ihre Fertigkeiten und ihr Geschick immer weiter verbesserten. Sie war mit einem Eifer dabei, den sie sich nie zugetraut hätte und schluchzte manchmal vor Verzweiflung, wenn ihr eine Arbeit nicht gelang. Doch man ging nachsichtig mit ihr um und bot ihr an, die Arbeiten ein weiteres Mal zu versuchen. Klappten diese beim zweiten Anlauf, konnte man Sarias Jubelschrei bis über die Dächer von Tursh hören. Tag und Nacht arbeitete sie, bis schließlich eines Tages die unnahbare Frau im Inneren der Scheune auf sie zutrat. "Du verdienst Anerkennung", sagte sie zu ihr "und hast dir einen Titel verdient. Von nun an wirst du als Schneider-Neuling anerkannt sein." Saria strahlte vor Freude. "Doch du solltest nicht nur dein Können verbessern", fuhr die Frau fort, "sondern auch spezielle Aufträge von unseren Einwohnern annehmen. Viele von ihnen brauchen Hilfe von Talenten wie dir und würden dich dafür entsprechend entlohnen."
Das ließ sich Saria nicht ein zweites Mal sagen; sogleich machte sie sich auf den Weg, um den Mitbewohnern ihre Hilfe anzubieten. Eine Frau auf der oberen Etage der Scheune nickte sogleich erfreut. "Ja, ich hätte da was für Euch und wäre sehr froh, wenn Ihr etwas für mich anfertigen könntet. Allerdings ist die Aufgabe schwieriger, als Ihr vielleicht annehmt - ich verfüge nicht über das Geschick, Ressourcen aus der Natur zu beziehen, daher müsstet Ihr diese ebenfalls selbst beschaffen. Ich hoffe, das stellt kein allzu großes Hindernis für Euch dar."
Nun, damit hatte Saria nicht gerechnet. Sie wusste zwar, wie man sogar die edleren Ressourcen aus Pflanzen und Tieren gewann, konnte sich jedoch nicht mehr daran erinnern, in welchen Gebieten man an die einfacheren kam. Die Zeit drängte und so blieb ihr nichts anderes übrig, als sich an ihre engsten Vetrauten zu wenden. Morxaine und Sirakat, beide erfahrene Handwerker von der Gilde des Sechsten Hauses, waren sogleich auf ihrer Seite, verspotteten sie zunächst jedoch wegen ihrer Unwissenheit. "Du hättest dir doch denken können, dass man die Ressourcen für eine Arbeit wie diese aufheben muss. Oder dachtest du etwa, man verlangt sofort edle Stoffe von einem Neuling?" Sie lachte. Wieder war Saria froh um ihren dunklen Teint. Morxaine beruhigte sie. "Ich kann dir ein paar von den benötigten Ressourcen geben. Ich weiß jedoch nicht, ob die Menge reichen wird und du wirst wieder Hilfe brauchen. Daher musst du immer daran denken, beim Abbau ein paar von ihnen für dich selbst aufzuheben."
Auch Sirakat schaltete sich nun ein. "Auch ich werde dir ein paar Zutaten schicken. Viel Glück bei deiner Arbeit."
Durch die Hilfe ihrer Freunde gestärkt, machte sich Saria wieder an die Arbeit. Das Veredeln und Vollenden der Stoffe ging ihr nun viel leichter von der Hand und eine Welle der Zuversicht durchströmte sie, als sie mit ihrem Auftrag beinahe fertig war. Doch dann - beinahe am Ziel angekommen - fiel ihr auf, dass sie einige fertige Stoffe für einen weiteren Auftrag benötigte, den sie ebenfalls angenommen hatte, um die Stoffe in dem einzigartigen Stil von Thestra anfertigen zu können. Die ihr geschenkten Ressourcen wurden immer weniger und gingen ihr schließlich aus. Sie schritt ein wenig hoffnungslos durch die dunklen Felder, über die die Nacht hereingebrochen war und überlegte, was nun zu tun sei. Sollte sie nach Qalia reisen, um dort nach der plötzlich so wertvoll gewordenen Jute zu suchen? Oder wäre ein anderer Ort besser dafür geeignet? Sie wurde mitten aus ihren Überlegungen gerissen, als ihr jemand auf die Schulter tippte. "Na, was macht eine Dame allein in dieser unschicklichen, dunklen Gegend?"
Sie drehte sich um und sah Taigabaer, einem Mitglied des Sechsten Hauses, vor sich stehen. Erleichtert atmete sie auf. "Mir ist es wirklich unangenehm, aber...ich bräuchte deine Hilfe", meinte sie verschämt. Er lachte. "Das dachte ich mir. Wie kann ich dir denn helfen?"
Saria berichtete ihm sogleich von ihren Schwierigkeiten.

"Hier kannst du einige von den gewünschten Pflanzen finden und auch Baumwolle wächst hier reichlich", sagte Taigabaer, als sie in Jalen´s Crossing, einem Ort ihres geliebten Kontinents - Kojan - standen. "Folge mir einfach, ich zeige dir, wo welche wachsen."
Sie gingen tiefer in das Land hinein und erfreut entdeckte Saria ganze Felder mit ihren mittlerweile begehrten Pflanzen. Sie begannen sogleich, sie abzuernten. Saria konzentrierte sich auch auf die Baumwolle, da sie sich sicher war, dass sie auch diese in kürzester Zeit brauchen würde.
In der Tiefe der Nacht arbeiteten sie so lange, bis Saria sich sicher war, dass sie ihre Aufträge nun ausführen konnte.
Für die Fortsetzung ihres Handwerks wählte sie Tanvu, die Hauptstadt von Kojan aus, die in der Nähe lag und über genügend Arbeitstische verfügte. Taigabaer gesellte sich zu ihr und beobachtete ihr Treiben. Saria war es nur recht, denn so konnte sie sich noch während des Arbeitens mit dem anderen austauschen - und schließlich Taigaber stolz von der Vollendung ihres Auftrags erzählen. Der erste Auftrag war nun also geschafft. Saria fand immer mehr Gefallen an ihrer Ausbildung.

Der zweite Auftrag führte sie tiefer in die Umgebung um Thestra. Sie hatte verschiedene Leute auf dem ganzen Kontinent aufzusuchen und mühte sich mit ihrer Karte, auf der die Wege eingezeichnet waren, und ihrem Kompass ab.
Es hatte damit begonnen, dass sie New Targonor, die Hauptstadt von Thestra, aufsuchen musste. Stumm hatte sie an deren Türmen und den undurchdringlichen Wänden emporgeblickt. Dann hatte sie die Treppe erklommen, die sie zu ihrem Ziel führen sollte.
Es war nicht einfach, sich hier zurechtzufinden. In den labyrinthartigen Korridoren im Inneren des festungsartigen Gebäudes, die kein Ende zu nehmen schienen, war sie mehrere Male zu ihrem Ausgangspunkt zurückgekehrt, um einen anderen Gang zu versuchen. Jedes Mal schien sie dabei kurz vor dem Ziel gewesen zu sein; sie fand jedoch die Person nicht, die sie in ihrer Lehre weiterbilden sollte. Oft dachte sie an die weiten, zerklüfteten Berge von Falgarholm, an der nördlichen Grenze von Thestra, oder das Tal tief unten in Qalia, welches von einem Fluss geteilt wurde. Dort hatte sie sich mehr schlecht als recht durchgeschlagen, doch ihr Weg war mit Gefahren verbunden gewesen und die neuen Landschaften, die sie zwecks der Bekämpfung von feindlichen Wesen erkundet hatte, hatten sie immer weiter hineingetrieben, aus dem Wunsch heraus, alles zu entdecken, was es dort zu entdecken gab - schließlich war sie am Ziel angekommen. Hier sah es anders aus. Mit einem Seufzer schlug sie den letzten ihr verbliebenen Weg in den Hallen von New Targonor ein, um ihren nächsten Ausbilder zu finden.
Er hatte sie bereits erwartet. "Um diese Aufgabe abzuschließen", hatte er gesagt, "müsst Ihr die zerklüfteten Berge von Bordinar´s Cleft passieren. Dort findet einen Menschen, der Euch weiterbilden kann."
Nun stand sie zwischen riesigen, zerklüfteten Bergen von atemberaubender Schönheit und starrte auf ein Tor, das in einen von ihnen hineinzuführen schien. Es wurde von Zwergen bewacht und nun ergab dieser Ort einen Sinn; Saria wusste, dass Zwerge ihre Wege durch selbst in den Berg gehauene Gänge ihren Durchgang fanden; sie lebten in minenartigen Gewölben. Sie betrat das Tor und war froh um die Wärme, die sie hinter diesem empfing; ihre Glieder waren steif vor Kälte und auch die Luft schien dünner geworden zu sein. Immer noch saß ihr der Schreck in den Gliedern, nachdem sie an einem Abhang ausgerutscht, ein ganzes Stück den Weg hinuntergepurzelt und beinahe in eine Schlucht gestürzt wäre. Ein Schwebezauber hatte sie gerade noch gerettet; nun fühlte sie sich matt und erschöpft. Sie nickte freundlich den Zwergen zu, die sie passierte, und hoffte, niemand würde ihr zielloses Umherirren bemerken. Doch niemand schien sie wahrzunehmen, wie sie da von einem Gang in den anderen huschte, erfolglos in ihrem Bestreben, einen Ausbilder zu finden. Die riesigen Hallen im Inneren des Berges umschlossen sie und trotz deren Weite fühlte Saria sich in dem trüben Licht bedrohlich eingeengt. Sie sehnte sich Feanna herbei, ihre Halbschwester, die ihr in ihrer schweren Rüstung zur Seite stehen könnte; doch Feanna war weit weg im River Palace auf Qalia, wo sie dem Sechsten Haus bei einer äußerst schwierigen und gefährlichen Aufgabe half. Saria machte sich Sorgen um sie, dennoch schien es tröstlich, dass sie wenigstens in Gedanken ihr Leid mit ihrer Schwester teilen konnte. Gleichzeitig schalt sie sich leise selbst: "Wie kannst du nur so denken! Feanna riskiert ihr Leben und stürzt sich in Schlachten, während durch den Kontinent reist und Spaziergänge machst. Nicht einmal einen Berg kommst du gescheit hoch.Nun reiss dich ein wenig zusammen." Doch all diese Gedanken halfen nichts; sie bewirkten nur, dass sie sich noch deprimierter fühlte und vollends die Orientierung verlor. Schließlich setzte sie sich mutlos in einen Raum, in dem ein äußerst gemütlich aussehender Zwerg stand und sie beobachtete. Er tat dies eine ganze Weile, ehe er hinter sie trat und an ihrem Umhang zupfte. Sie schaute sich verwirrt um. "Ja?"
Er zwinkerte ihr zu. "Ihr sucht doch nicht etwa nach mir?" Er nannte ihr seinen Namen und fragte nach ihrem Anliegen. Saria lachte verlegen. "Oh", stammelte sie, "ich wollte euch nur nicht bei Eurer Arbeit stören." Gleichzeitig verfluchte sie sich ob dieser einfallslosen Ausrede; schließlich hatte der Zwerg nichts weiter getan, als neben ihr zu stehen. "Ich verstehe." Wieder zwinkerte er. "Nun, Ihr müsst Saria sein. Was wollt Ihr wissen?"
Durch seine Unbefangenheit angesteckt, erklärte sie ihm ihr Anliegen. "Das ist ganz einfach", meinte er. Und obwohl Saria dies bezweifelte, ließ sie sich von ihm in der Kunst des Schneiderns, wie man es in Thestra pflegte, einweisen.
Einigermaßen froh, doch immer noch ein wenig beschämt (und ein wenig verliebt, wie sie sich eingestehen musste), machte sie sich auf, um den nächsten Ausbilder zu finden, welcher sich in der Elfenstadt Leth Nurae befand - einer verträumten, durch und durch grünen Stadt, die die Blicke der Besucher durch ihre Bepflanzung und die verzierten Gebäude abzulenken wusste, was Saria das Suchen noch weiter erschwerte. Sie wusste nicht, wie lange sie die gewundenen Wege entlanggegangen war, bis sie bemerkte, dass ihr ein Händler zuwinkte, nachdem sie zum fünften Mal an ihm vorbeigegangen war. Saria beschloss, sich ausgiebig in der Stadt umzusehen, um sich einen besseren Überblick zu verschaffen. Nachdem sie ihre Gedanken geordnet hatte, wagte sie sich schließlich in die Hallen der Handwerker, wo sich ihr Ausbilder befinden musste. Als sie diese endlich gefunden hatte, fühlte sie, wie eine wohltuende Wärme in ihr aufstieg. Ihre Aufgaben waren erfüllt. Sie musste sofort zu ihren Gefährten vom Sechsten Haus und es ihnen berichten.

Sie schaute zu ihrem geliebten Vollmond auf, als sie neben ihrem vertrauten Arbeitgeber inmitten des Grüns in Tursh saß.
"Nun", sagte er und tätschelte ihr dunkles Haar. "Ich bin zufrieden mit dir, nachdem du eine weitere Auszeichnung in deiner Ausbildung erlangt hast. Doch so schmerzlich ich dich auch vermissen werde - das werde ich mir nach deiner Erzählung über den Zwerg sowieso abgewöhnen müssen - so dringend ist es auch, dass du zur Vollendung deiner Kunst weitere Kontinente aufsuchst. Ich weiß, es wird eine schwere Zeit für dich, aber vielleicht hilft es dir, mit mir darüber zu reden...wenn du irgendwann die Zeit dazu findest." Er seufzte. "Fange am besten in Kojan an, dort wird dir die Gegend wenigstens vertraut vorkommen und man wird dich freundlich empfangen. Ich wünsche dir viel Glück."
Saria sagte nichts und schaute ihn an. Dann stand sie auf, legte ihre Arme um ihn und drückte ihn mit einem tiefen Seufzer. "Vielen Dank", sagte sie. "Ich werde an Euch denken." Sie blickte noch einmal zurück, während sie fortging.
Sie war auf dem Weg zu neuen Abenteuern auf anderen Kontinenten. Nicht, ohne dabei ihre vertraute Gilde, Das Sechste Haus, mitzunehmen.

Epilog

Feanna erreichte müde und erschöpft ihr Haus, ein ruhiges Fleckchen am Meer auf Caroll Island. Die Sonne ging soeben unter und sie seufzte beim Anblick des rot verfärbten Himmels und des rauschenden Meeres unter ihm. Sie konnte nun ein wenig Idylle und Ruhe gebrauchen; ein schwerer Kampf lag hinter ihr, den sie mit ihren Gefährten gemeistert hatte und sie hatte sich eine Pause verdient. Sie stieß die Tür zu ihrem Haus auf und wollte sich soeben auf ihr Bett legen, als ihr Blick auf ein Stück Papier auf dem Tisch neben den Blumen fiel. Stirnrunzelnd nahm sie es an sich und erkannte, dass es sich um einen Brief handelte. Er war mit dem namen Saria unterzeichnet und neugierig begann sie, ihn zu lesen.
Dann faltete sie ihn verwirrt zusammen und setzte einen nachdenklichen Gesichtsausdruck auf. In dem Brief wimmelte es von haarsträubenden, aber interessanten Erzählungen. Saria hatte allem Anschein nach einen handwerklichen Beruf ergriffen. Feanna überlegte. Ließ etwa die Abenteuerlust ihrer Schwester nach? Nun, sie konnte sich nicht vorstellen, dass dem so war, wunderte sich jedoch über die Begeisterung, die in dem Brief mitschwang.
Nun ja, vielleicht kam Saria ja auch wieder zur Vernunft. Sie selbst würden jedenfalls keine zehn Pferde an einen Arbeitstisch oder gar eine Schmiede bringen.
Sie brach bereits früh am Morgen auf und die Sonne stand noch nicht hoch am Himmel, als sie einen zweifelnden Blick auf die Scheune von Tursh warf, von der Saria ihr berichtet hatte. Vielleicht sollte sie lieber an der frischen Luft arbeiten, wenn sie dies jemals vorhatte. Sie entdeckte an einer Hauswand eine große Schmiede, in der die Glut brodelte. Neugierig trat sie näher heran. Es sah sehr anheimelnd aus. Vielleicht wäre es gar nicht so schlecht, wenn sie...lass den Unsinn, unterbrach sie sich in Gedanken, du wirst nichts dergleichen tun. Du würdest es allenfalls einmal ausprobieren. Vielleicht taugst du ja sogar was als Schmied. Nun, fragen kostete ja nichts. Sie schaute sich um. Auf dem Weg neben der Scheune sah sie einen dicklichen Mann stehen, der verträumt über die Felder starrte und ein Zwerg sein musste. Sie trat zu ihm. "Ich würde mich gern an der Kunst des Schmiedens versuchen", sagte sie.

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Zuletzt geändert von Quina am Sa 3. Jan 2009, 03:32, insgesamt 2-mal geändert.

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 Betreff des Beitrags: Re: Kleine Geschichte
BeitragVerfasst: Fr 2. Jan 2009, 12:44 
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Sehr schön geschrieben! :respekt:

Sone Geschichten fehlen eindeutig in unserem neuen Forum! :spitze:

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 Betreff des Beitrags: Re: Kleine Geschichte
BeitragVerfasst: Fr 2. Jan 2009, 12:56 
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Eine sehr schöne Geshichte! :spitze:

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 Betreff des Beitrags: Re: Kleine Geschichte
BeitragVerfasst: Fr 2. Jan 2009, 17:30 
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Hab mal nen Epilog drangehängt ;P

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 Betreff des Beitrags: Re: Kleine Geschichte
BeitragVerfasst: Do 29. Jan 2009, 17:33 
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Die Sonne brannte auf die verträumte Insel nieder, auf der weit und breit niemand zu sehen war. Niemand, bis auf die kleine Halbelfin, die sich im Schatten eines Baumes ausruhte und nachdenklich auf das rauschende Meer starrte. Dann seufzte sie und strich sich das verschwitzte Haar aus der Stirn. Sie musste wieder an die Arbeit, wenn sie sich in ihrem Beruf als Schneiderin verbessern wollte. Es war nun schon beinahe einen Monat her, dass sie sich zu diesem entschlossen hatte und der Weg bis zur Vollendung war noch lang und beschwerlich. Zunächst war sie zufrieden mit sich gewesen; sie hatte sich die Anerkennung ihrer Meister verdient und es stand ihr frei, sich eine Weile auszuruhen, bevor sie weiter in ihrem Beruf aufstieg. Sie war tatsächlich kurzzeitig dem Ruf ihrer Halbschwester Feanna gefolgt und hatte sich ihr im Kampf gegen die bösartigen Kreaturen Telons angeschlossen. Doch es hatte Saria nicht erfüllt. Alle Reden und Forderungen Feannas hatten das Gefühl, dass etwas fehlte, in ihr nicht ausräumen können. Sie war zu weit gekommen, um nun einfach aufzuhören. "Du solltest lieber etwas sinnvolles tun", hatte Feanna gesagt, "und wenn du es nicht tust, dann ziehe ich eben los, um Telon zu verteidigen." Sie schnaubte belustigt. "Wenigstens kümmert sich dann einer um das Haus", fügte sie dann hämisch hinzu. Sie selbst fand, dass Saria sich allzu oft über ihre Arbeit beschwerte, als dass diese eine Freude sein könnte und hatte ihren Beruf als Schmiedin vorerst nicht weiter ausgeführt. Saria kümmerte dies alles nicht. Fasziniert betrachtete sie die aufgeschriebenen Rezepte, die ihr ihre Ausbilder für die Fortsetzung ihrer Arbeit anvertraut hatten. Sie hatte nun die Möglichkeit, Kleidung für sich und Möbel für das Haus selbst zu erstellen. Sie musste es einfach schaffen.
Manchmal, wenn sie an ihren mangelnden Künsten zu verzweifeln drohte, suchte sie Trost bei ihrem Meister oder der Gilde des Sechsten Hauses. "Du musst Geduld haben", bekam sie dann zu hören. "Es unterscheidet sich nicht sehr vom Kämpfen. Auch dabei kann man versagen, wenn man unerfahren ist. Doch nur mit Geduld wirst du die Komplikationen, die dich aufhalten, bemerken und die Lösungen finden." Saria sah dies ein und war dankbar über die Ratschläge ihrer Vertrauten und Freunde. Sie erfüllte weiterhin Aufträge auf den verschiedenen Kontinenten, um dort Ansehen zu erlangen, fluchte und weinte und schaute dabei immer wieder in ihr Rezeptbuch, um nicht aufzugeben. Es schmerzte sie, dass Feanna dafür kein Verständnis mehr zu haben schien; sie hätte gern ihre Schwester an ihrer Seite gesehen. "Nun", so dachte sie, "wenn ich erst einmal das Haus einrichte, wird sie es sich vielleicht anders überlegen und Freude daran finden." So übte sie sich weiter in ihrer Kunst und bemerkte freudig, dass ihre Geduld sich ausgezahlt hatte. Voller Aufregung erschuf sie die Dinge, die sie am meisten begehrte und freute sich auf die Reaktion ihrer Schwester. Doch als Feanna ins Haus trat, drohte Sarias Selbstvertrauen in sich zusammenzubrechen. "Das soll ein Teppich sein?" rief Feanna aus und lachte schallend. "Meine Güte, wenn du dafür so lange gearbeitet hast, dann frage ich mich ernsthaft, ob ich meinen Beruf jemals wieder ausführen soll. Du schaffst es ja nicht einmal, einen Teppich so zu stärken, dass er flach auf dem Boden aufliegt." Kritisch musterte sie die Rolle aus Stoff, die neben dem Bett lag. Saria fühlte Zorn in sich aufsteigen. "So macht man das in Qalia", verteidigte sie sich erbost, "und wenn du dich mit den verschiedenen Kontinenten auskennen würdest, wüsstest du das. Manchmal glaube ich, du weißt nicht einmal, wofür du eigentlich kämpfst." Sie wusste, dass sie zu viel gesagt hatte, doch es war zu spät.
"Jedenfalls nicht dafür, dass ich ein Haus mit solchen Lappen ausstatte." Feanna wies auf den kleinen, kojanischen Teppich, den Saria unter dem Tisch ausgebreitet hatte. Sie war sehr blaß und hatte Mühe, die Beherrschung zu wahren. Saria erging es nicht anders; in ihren Augen glänzten Tränen. Sie wusste nichts mehr zu erwidern. Ein Schluchzen drohte in ihr aufzusteigen und sie hielt den Atem an. Sie würde sich nicht derart entblößen. Nicht vor Feanna.
Diese starrte sie eine Weile an, bevor sie schließlich zur Tür ging. "Nun, dann haben wir wohl nichts mehr miteinander zu besprechen", sagte sie und schlug die Tür hinter sich zu, bevor Saria ihre Tränen sehen konnte. In Saria löste sich der Knoten der Trauer und die Erleichterung kam erst, als sie sich dieser hingab.
Die nächsten Tage wurden trübselig und anstrengend. Saria fühlte sich nun vollends im Stich gelassen. Sie arbeitete verbissen vor sich hin und nur ihre Fortschritte und ihre vertraute Gilde konnten ihr noch Trost geben.
Feanna stürzte sich weiterhin in Schlachten, doch sie war nicht mehr mit vollem Herzen dabei. Immer wieder spürte sie, wie ihre Gedanken zu Saria abschweiften. Doch ihre Schwester meldete sich wider Erwarten nicht mehr bei ihr und sie war ein wenig ratlos. Sie beschloss, nicht weiter darüber nachzudenken.
Fennah, eine ihrer engsten Vertrauten, beobachtete das Geschehen in stillem Schweigen. Noch würde sie sich nicht einmischen.

Saria stattete währenddessen ihre engsten Freunde mit nützlichen, handgearbeiteten Dingen aus. Shyari und Quiona wussten ihre Aufmerksamkeit zu schätzen und dies gab ihr wieder ein wenig Mut. Auch Fennah nahm ihre Gaben dankbar entgegen, obgleich sie leicht in vielen Kämpfen an verschiedene Schätze kam, und sprach ihr ihre Anerkennung aus. Nur zu Feanna blieb das Verhältnis unverändert. Doch nach und nach stand sie vor einem neuen Problem. In ihren Bemühungen, die anderen auszustatten, hatte sie derart viele Rohstoffe und weitere Zutaten eingelagert, dass sie nicht imstande war, weitere aufzunehmen. Dies behinderte sie sowohl beim Arbeiten, wobei sie grundsätzlich weitere Utensilien kaufen musste, als auch bei dem Abbau von anderen, nützlichen Ressourcen. Sie wusste sich nicht mehr zu helfen. Fennah und die anderen hatten ihr bereits einen Teil abgenommen und hielten die notwendigsten Dinge für Saria bereit. Im Haus gab es keinen Platz mehr; selbst das Quartier des Sechsten Hauses drohte allmählich vor lauter gesammelten Pudern und Kristallen zu bersten. Es dauerte lange, bis Saria sich schließlich ein Herz fasste und Feanna um Hilfe bat.
Diese las den Brief und wollte ihn sofort verbrennen; doch irgend etwas hielt sie davon ab. Sie merkte, dass sie ihre Schwester trotz allem vermisste und ein Teil von ihr bereit war, ihr Verständnis entgegenzubringen. Doch ihr Stolz war diesem Gefühl beinahe ebenbürtig. Deswegen ging sie zunächst nicht auf Fennah ein, als diese das Gespräch mit ihr suchte. "So hör doch zu", drängte Fennah und drehte sie zu sich um. "Du musst an deine Schwester denken. Schließlich ist es eine Ehre für die ganze Familie, wenn wenigstens einer eine Handwerkskunst beherrscht. Denke doch nur daran, wie niedergeschlagen du warst, als du nicht einmal eine Tasche besessen hast, die groß genug war, um deine Schätze zu wahren. Damals hättest du Sarias Können gebraucht."
Feanna wollte ihr nicht in die Augen schauen und murmelte etwas vor sich hin. "Und wenn es dir um Kampf und Ehre geht", fuhr Fennah fort, "springe ich für dich ein. Du weißt, dass Heiler mindestens ebenso wichtig sind wie Krieger." Sie zwinkerte ein wenig selbstgefällig.
Feanna schaute endlich auf. "Du magst ja Recht haben, aber..."
"Und noch etwas", unterbrach Fennah sie und holte zum letzten Schlag aus, "Saria kann im Gegensatz zu dir Umhänge herstellen."
Nun hatte sie die Aufmerksamkeit, die sie von Feanna wollte. "Wie bitte?" rief diese erstaunt aus, "warum hat sie das denn nicht gleich gesagt?"
"Weil sie die ganze Zeit darauf hingearbeitet hat, während du sie im Stich gelassen hast", bemerkte Fennah trocken. "Und Umhänge dürften in dieser Hinsicht nicht das Wichtigste für dich sein. Sicherlich sind dir ihre Umhänge ohnehin nichts mehr wert." Sie beäugte Feannas Ausrüstung. Diese errötete. "Nun...ich hätte sie damals sicherlich gebrauchen können." Sie dachte daran, wie sie das Sechste Haus gebeten hatte, für einen Umhang einen harten Kampf durchzustehen.
Fennah sah ihr in die Augen. "Und außerdem ist sie deine Schwester", wiederholte sie.
Feanna ließ die Schultern hängen. "Mit euch Elfen", sagte sie, "wird man nicht so leicht fertig." Vor allem nicht mit Dunkelelfen, fügte sie in Gedanken hinzu.
Dennoch ging es ihr erheblich besser, als sie einen Brief an Saria abschickte.

Saria glaubte zunächst, es wäre ein Brief von Fennah. Diese hatte sich ihr in letzter Zeit angenähert, als hätte sie etwas von Sarias heimlicher Verzeiflung gespürt. Doch als sie genauer hinschaute, erkannte sie Feannas klare Schrift und ihr typisches Zeichen, zwei übereinander gekreuzte Schwerter. Sie rechnete halb damit, dass ihre Schwester sich nun endgültig von ihr verabschiedete. Doch was sie las, weitete ihre Augen.

Werte Saria,
glaube nicht, dass ich meine Meinung hinsichtlich deiner Ansichten geändert habe. Zumindest nicht in einem Punkt.
Was mir jedoch bewusst geworden ist, ist der fehlende Teil, den ich verspüre, wenn ich mich von dir abwende. Bitte schicke all deine noch nicht benötigten Ressourcen an mich, ich werde sie zu meiner Bank bringen, die sie sicher verhüten wird. Du wirst jederzeit Zugriff darauf haben, sage mir nur Bescheid, wenn Du sie brauchst.
Nun, Du brauchst Zeit für dein Handwerk, so wie ich für meine Abenteuer. Vielleicht ändert sich dies irgendwann und Du kämpfst, während ich die Schmiede betätige. Vielleicht hielt ich es auch nicht für nötig, einen Beruf zu erlernen, weil du diejenige warst, die sich kümmerte. Mir hätte bewusst sein müssen, wie eigensinnig und auch engstirnig das von mir war. Und ich habe mir in Erinnerung gerufen, wie oft du an meiner Seite gekämpft hast.
Sei Dir nur bewusst, dass Du mich niemals enttäuscht, jedoch gekränkt hast.

P.S.: Ich wäre wirklich furchtbar neugierig, wer unser Vater war.


Saria schaute noch lange auf den Brief und nahm kaum wahr, dass Feanna die übliche Floskel "In Liebe" diesmal weggelassen hatte. Sie hätte es ihr auch gar nicht verdenken können. Sie begann, ihre Ressourcen in kleine Pakete zu verpacken.
Von nun an schien ihr alles leichter von der Hand zu gehen. Sie reiste durch die Kontinente und holte Informationen über das Nähen von Segeln ein. Und endlich war sie so weit vorangeschritten, dass sie in Ruhe ihr Haus ausstatten konnte. Sie fertigte Vasen an und legte Blumen hinein, als Begrüßung für Feanna.
Fennah verteidigte während dessen Das Sechste Haus in Dargun´s Tomb und schrieb Saria regelmäßig von ihren Erfolgen. Auch Feanna half ihren Gefährten im Kampf, vergaß dabei jedoch ihre Schwester nicht.
Eines Abends stand sie vor ihrer Hütte auf der verträumten kleinen Insel auf Thestra und hob zögerlich die Hand, um anzuklopfen. "Herein", kam es von Saria aus dem Inneren des Hauses. Sie öffnete die Tür und der süßliche Duft der Blumen schlug ihr entgegen. Staunend sah sie sich um. "Nun", meinte Saria, "wirst du dieses Haus ertragen können?"
Feanna nickte langsam. Dann blieb ihr Blick an der hintersten Wand hängen, glitt dann über den Tisch und sie schüttelte seufzend den Kopf. "Aus dir wird nie was. Nun, ich werde niemandem erzählen, für welche Zwecke du deine Teppiche verwendest."
Sie schauten sich an und lachten.
Saria legte Feanna einen Arm um die Schultern und dachte an den letzten Satz in ihrem Brief. "Vielleicht finden wir es wirklich eines Tages heraus", sagte sie.

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 Betreff des Beitrags: Re: Kleine Geschichte
BeitragVerfasst: So 19. Jul 2009, 18:10 
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Saria musste mehrmals auf die Unterschrift schauen, ehe sie sich sicher sein konnte, sich nicht geirrt zu haben. Ihre Hände, die den Brief hielten, wurden von einem leichten Beben erfasst, doch sie merkte es kaum. Sie legte ihn weg und setzte sich auf ihr geräumiges Bett, um nachzudenken.
Nach einer guten halben Stunde gab sie es auf; ihre Gedanken kreisten ziellos in ihrem Kopf wie ein Rudel wildgewordener Ksaravi und schienen sich nicht bändigen zu lassen. Sie beschloss, Hilfe bei ihrer Schwester Feanna zu suchen, die ein hitziges Gemüt hatte, in schwierigen Momenten jedoch einen klaren Verstand vorweisen konnte. Mit einem tiefen Seufzer steckte Saria den Brief unter ihren Umhang und machte sich auf den Weg zu ihrer Schwester.
Diese reagierte auf eine für sie ungewöhnliche Weise: Ihr ohnehin blasses Gesicht wurde ganz weiß, die mandelförmigen Augen weiteten sich. Ihr Blick wanderte langsam zu Sarias Gesicht und suchte ihre Augen. Saria löste ihren Blick von dem steinigen Boden, auf dem sie standen und eine Weile sahen sie sich schweigend an.
"Hat sie wirklich..." fing Feanna schließlich an. Saria hob hilflos die Schultern. "Ich weiß nicht genau, wie sie es meint. Mutter hatte schon immer die Angewohnheit, in jede Aussage ein Rätsel einzubinden. Ich verstehe den ganzen Brief nicht. Nimm zum Beispiel das hier..." sie suchte die Textstelle und las sie laut vor. "...ich möchte dich in deiner Arbeit vorankommen sehen, da ich schon bald verreisen werde, um mich um Fennah zu kümmern, bevor ich es nicht mehr kann." Sie dachte kurz nach. "Das wirft zwei Fragen auf: Wieso will sie sich um Fennah kümmern und vor allem, wie steht es um sie? Sie schreibt etwas von einem Aufbruch nach einer schweren Zeit und dann..." Sie stockte, doch Feanna verstand ohnehin, worauf sie hinauswollte. Sie wusste, weshalb sie beide von dieser grauenvollen Vorahnung erfüllt waren. Das Verlangen, ihre Mutter aufzusuchen, wurde einen Augenblick lang übermächtig und sie schluckte krampfhaft. Sie zu sehen, bevor sie es nicht mehr konnte.
Sie musste herausfinden, wo sich ihre Mutter befand, während Saria ihre Arbeit zu Ende bringen würde; im Brief gab es keine Hinweise darauf. Denn die Gewissheit, die von einem bestimmten Satz ausging, schien unumstößlich und endgültig: Dein Vater wird stolz auf dich sein.

Saria versuchte, von ihrem Bett aufzustehen und schaffte es nicht. Eine schier unerträgliche Last schien sie niederzudrücken. Ihr Kopf hämmerte den Takt eines besonders enthusiastischen Trommlers, der eine gute Nachricht erhalten hatte. Doch die Nacht war für Saria alles andere als gut gewesen. Die Alpträume, die sie geplagt hatten, schienen immer noch greifbar und kreisten in ihren Gedanken. Besonders ein Bild hatte sich unerbittlich darin eingebrannt: Ihre Mutter, eine hochgewachsene Hochelfe und mächtige Druidin, die von einem unerkennbaren Schatten gen Himmel gezogen wurde, bevor die Wolken sich hinter ihr schlossen. Dieser Schatten, dachte sie, musste ihr Vater gewesen sein; ihr Vater, der vor langer Zeit verschwunden und dann für tot erklärt worden war. In den ersten schreckerfüllten Minuten nach dem Erwachen hoffte Saria inbrünstig und mit klopfendem Herzen, Feanna möge auf ihrer Suche erfolgreich sein. Sie drehte langsam den Kopf und schaute mit zusammengekniffenen Augen durch das Fenster in das Morgengrauen hinaus. Grauen beschreibt es sehr gut, dachte sie, als sie den wolkenverhangenen, düsteren Himmel erblickte. Es scheint ein Gewitter aufzuziehen. Doch was auch immer sie dort draussen erwartete; sie musste aufbrechen und sich an ihre Arbeit machen.
Sie hatte eine lange Strecke vor sich; ihr Weg führte sie nach Kojan, ihrer eigentlichen Heimat und sie blickte ein wenig wehmütig auf ihr kleines Haus auf einer ruhigen Insel in Thestra zurück. Der Widerwille, mit dem sie aufbrach, überraschte sie; sie hatte sich lange Zeit – es schien eine Ewigkeit zu sein – nicht mehr der Schneiderei hingegeben, nachdem sie ihren Gefährten oftmals bei langwierigen, gefährlichen Kämpfen helfen musste. Selbst Feanna, die sie zunächst dazu angehalten hatte, hatte sich darüber gewundert. „Du wirst noch viel gefährlichere Orte betreten“, hatte sie gesagt, „solltest du nicht langsam daran denken, dir eine angemessene Rüstung zu schneidern?“
Sie hatte Recht, dachte Saria, doch sie weiß immer noch nicht, wie lang und beschwerlich der Weg dahin war. Selbst ihre Mutter hatte ihr geraten, ihre Arbeit ein wenig ruhen zu lassen – umso mehr verwunderte sie die Dringlichkeit, mit der sie Saria nun wieder darauf hinwies.
Während sie einen Teil ihres Weges auf einem Schiff bewältigte und auf die glitzernde See hinausstarrte, spürte sie, wie sich ein bedrückendes Kribbeln zunehmend in ihrem Magen ausbreitete. Kojan war auch die Heimatstadt von ihrem Vater gewesen; sie hatte ihn einmal auf einem Bild gesehen, einen hochgewachsenen, edlen Krieger mit Augen, die Feanna ebenso wie das schwarze, glatte Haar von ihm angenommen hatte. Sie konnte sich nicht erklären, weshalb sie die plötzlich aufsteigende Hitze hinter ihren Augenlidern verspürte, die Tränen ankündigte. Er ist tot, denk nicht darüber nach, dachte sie und die Tränen blieben irgendwo auf dem Weg zum Ausgang stehen und hinterließen einen trägen, quälenden Druck, der sich bis zu ihrer Brust ausbreitete.
„Stimmt irgendetwas nicht?“
Sie drehte sich langsam zu der männlichen Stimme um und bemühte sich, nicht zu blinzeln. Ein Kojani stand vor ihr, groß und kräftig und in schwerer Rüstung. Er lächelte verlegen. „Ihr wirkt so traurig. Entschuldigt, wenn ich Euch störe.“
Saria spürte, wie nun die heiße Glut des Schams ihr Gesicht erfasste. Die Tränen krochen ein wenig höher. Sie hörte sich durch zusammengepresste Zähne stammeln: „Ich…nein, ich war nur nachdenklich. Mit mir ist alles in Ordnung.“ Sie brachte sogar ein Lächeln zustande und einen Moment lang fiel sie beinahe selbst darauf rein. Dann drehte sie sich schnell um und starrte verbissen auf das klare Wasser. Der kühle Wind tat gut und langsam spürte sie, wie die Hitze in ihr nachließ. Sie atmete erleichtert auf. Dann merkte sie, dass der Kojani immer noch hinter ihr stand und sie besorgt musterte. Saria wusste nicht, ob sie ihm dankbar sein, oder ihn verfluchen sollte. Er schien es zu spüren und wandte den Blick ab. „Wohin seid Ihr denn unterwegs?“ fragte er beiläufig, während der Wind sein Haar flattern ließ.
Sie musterte prüfend sein Gesicht und fand, dass es vertrauenswürdig aussah. „Nach Tawar Galan“, sagte sie, „ich nehme dort Aufträge für meine Schneiderausbildung an. Und Ihr?“
Ein überraschend strahlender Ausdruck erfasste seine Augen. „Tawar Galan ist auch mein Ziel. Allerdings habe ich dort nichts Aufregendes vor, so wie Ihr. Ich besuche nur ein paar Verwandte, bevor sie sich allesamt auf den Weg zu mir machen.“ Er zwinkerte.
Sie musste lächeln.
„Natürlich ist dazu keine schwere Rüstung nötig“, fuhr er fort, „doch wenn sie sofort erkennen, was aus ihrem…Jüngling, wie sie mich immer nannten, geworden ist, werde ich eine Weile Ruhe vor ihnen haben, wenn Ihr versteht, was ich meine.“
Saria lachte und nickte. Sie kannte allzu gut die ständige Besorgnis nahe stehender Verwandter, die nicht ruhten, ehe man ihnen versicherte, dass alles selbst ohne sie in bester Ordnung war.
Sie stellte fest, dass die Gesellschaft des fremden Kojani als angenehm empfand; er erzählte amüsant und stetig und hörte aufmerksam zu. Kyron war sein Name („Mein Vater bestand darauf, dass er ausländisch sein müsste, damit jeder außerhalb von Kojan sich ihn besser einprägen konnte“, erklärte er und verdrehte leicht die Augen) und er war in der Gegend um Tanvu aufgewachsen. Er war Rüstungsschmied, doch zur Zeit wollten die Geschäfte nicht so gut laufen. Nun, damit könne er leben.
Saria stellte sich ihm ebenfalls vor und sie unterhielten sich angeregt weiter, bis sie merkten, dass sie an ihrem vorläufigen Ziel angekommen waren.
Er nickte ihr zu, als sie am Hafen standen. „Nun, ich werde noch eine Weile in Jalen´s Crossing bleiben, bevor ich mich in die Lüfte schwinge“, erklärte er und meinte damit den Pegasus, der einen letztendlich nach Tawar Galan beförderte. Saria freute sich bereits darauf. Sie nickte ebenfalls. Sie hatte vor, noch an diesem Tag in Tawar Galan einzutreffen. „Nun, dann hoffe ich auf ein baldiges Wiedersehen“, sagte sie und lächelte ihm zu, während in der Ferne bereits der Pegasushändler zu erkennen war.
Als sie beinahe vor ihm stand, stolperte sie über einen Zügel und wurde gerade noch rechtzeitig von dem Händler aufgefangen. „Oh, da ist wohl jemand in Gedanken“, rief er und lachte dröhnend. Saria spürte die Röte, die sich in ihrem Gesicht ausbreitete. Er musterte sie unbarmherzig. „Na wenn das keine Verliebtheit in Euren Augen ist, die ich da sehe!“ Sein Lachen schallte über den ganzen Platz, so dass sich einige nach ihm umdrehten. Saria starrte ihn einen Augenblick fassungslos ob dieser Taktlosigkeit an, dann beschloss sie, es dabei bewenden zu lassen und schwang sich wortlos auf den Pegasus.

Der Flug nach Tawar Galan war wunderschön.
Sie schwebte durch die Wolken vor der langsam untergehenden Sonne und betrachtete die prächtigen Flügel des Tiers unter sich. Sacht strich sie ihm mit der Hand über den glatten, weißen Hals und es schnaubte zufrieden. Hier oben empfand Saria eine beinahe vollkommene Ruhe; eine Wohltat für ihre sonst aufgewühlten Gedanken. Immer wieder versuchte Kyron, sich darin einzuschleichen, doch sie verdrängte sein Bild vor dem rauschenden Meer. Als sie jedoch vor sich die Umrisse der Stadt erkannte, ließ sie es zu und gab sich ihm hin.

Es herrschte reger Betrieb und Saria hatte zunächst Mühe, die Halle der Handwerker zu finden; zu lange war sie nicht mehr hier gewesen. Dann sah sie die vertrauten Umrisse ihres Arbeitsplatzes und seufzte zufrieden. Eine mühevolle Aufgabe stand ihr bevor, doch sie würde sie bestehen.

Zu der Zeit, als Saria ihre ersten Arbeitsschritte einleitete, fand Feanna ihre Vertraute Fennah endlich in Rhazad, wo sich diese mit einigen Bäumen abmühte, die sie mit verbissener Hartnäckigkeit fällte. Feanna schaute ihr eine Weile dabei zu, bis Fennah sich, den Rücken zu ihr gedreht, setzte und sich den Schweiß von der Stirn wischte.
„Also wirklich“, sagte Feanna laut und deutlich, „es ist ja entzückend mit anzusehen, wie du das ohne mich machst.“
Fennah zuckte so sehr zusammen, dass sie beinahe wieder auf ihre Füße gesprungen wäre. „Verflucht, du hast mich beinahe zu Tode erschreckt!“
„So eifrig, wie du hier zugange bist, kann ich von Glück sagen, dass ich kein sprechender Baum bin“, entgegnete Feanna kühl. „Du weißt genau, dass ich mich ebenfalls darin üben muss, die besten Ressourcen aus den Bäumen zu ziehen. Ich hätte dir dabei geholfen, aber dies scheint dich nicht zu kümmern.“
Fennah seufzte. „Bist du gekommen, um mit das zu sagen, oder gibt es einen ernsteren Grund?“
Feanna seufzte ebenfalls. Sie wusste, dass ihr Zorn übertrieben war, zumal Fennah sie sicherlich nicht hätte erreichen wollen, selbst, wenn sie gewollt hätte.
„Es geht um meine Mutter“, sagte sie dann.
Fennah erhob sich von ihrem Platz und stützte sich an einen Baum. Sie wusste, dass Feanna von ihrer Stiefmutter sprach, die ihrer Aussage nach eine Hochelfin war; doch Feanna betrachtete sie wie ihre richtige Mutter, nachdem ihre leibliche gestorben war und ihr Vater zum zweiten Mal heiratete. Ihre Stiefmutter hatte sie liebevoll aufgezogen, ebenso wie Saria, die kurze Zeit später gezeugt wurde. Fennah selbst hatte ihre eigene Mutter nur vage in Erinnerung; sie hatte vor langer Zeit ihren Vater wegen eines anderen Mannes verlassen, dessen Namen Fennah nicht kannte.
Sie blickte Feanna nun besorgt an. „Was ist denn mit ihr?“ wollte sie wissen.
„Hat sie dir denn nichts gesagt?“ fragte Feanna erstaunt.
„Wieso sollte sie mir etwas sagen?“ gab Fennah ebenso erstaunt zurück. „Ich kenne sie ja nicht einmal.“
Feanna runzelte die Stirn. „Sie schrieb Saria und mir einen Brief, in dem sie uns mitteilte, dass sie sich um dich kümmern wollte.“ Sie fingerte an ihrem Gürtel herum und zog schließlich den mittlerweile arg mitgenommenen Brief heraus. „Da, lies es selbst.“
Doch Fennah schaute auf das Briefende und erstarrte. Ihre Augen ruhten so lange auf der Unterschrift, dass es Feanna unheimlich wurde. „Was ist denn los?“ fragte sie bang.
Langsam hob Fennah den Kopf; sie war sehr blass geworden.
„Linora Arvyn…ist Sarias leibliche Mutter?“ flüsterte sie fast.
„Ja, und meine Stiefmutter“, bestätigte Feanna. „Wieso ist das so erstaunlich?“
Fennah sah ihr fest in die Augen. „Weil es auch meine Mutter ist.“

Saria saß am Strand von Tawar Galan und ruhte sich aus. Sie war ein gutes Stück vorangekommen und traute sich langsam, aber sicher zu, die letzte Hürde in ihrer Ausbildung bald schon bewältigen zu können.
Sie war im Begriff, ihre Sachen für den heutigen Tag zusammenzupacken, als eine Hand von hinten an ihre Schulter tippte. Sie drehte sich um und blickte Kyron ins Gesicht, das von einem breiten Grinsen bedeckt wurde. „Hallo, Saria! Wie geht die Arbeit voran?“
Erstaunt bemerkte Saria, dass ihr Herz einen kleinen Sprung machte und ihr Magen plötzlich von Insekten bevölkert zu sein schien. Das liegt an der Überraschung, redete sie sich in Gedanken ein, nicht an diesem gut geschnittenen Gesicht, das dennoch weiche Züge aufweist…und auch nicht an den dunklen, und dennoch leuchtenden Augen. Auch wenn das Lächeln doch sehr einnehmend war.
Er roch gut, stellte sie fest. Welchen Duft er wohl benutzte? Ihr fiel auf, dass sie ihn nur anstarrte, anstatt ihm zu antworten. Schnell stammelte sie verlegen: „Ich…ja, es geht gut, aber mir fehlt noch einiges an Übung, damit ich würdig für den nächsten Titel bin.“ Sie sah ein wenig deprimiert zur Werkstatt hinüber. „Um ehrlich zu sein, es fehlt noch sehr viel. Ich werde mich anstrengen müssen…“
Er legte ihr eine Hand auf die Schulter und sie spürte die Wärme. „Macht Euch nicht zu viele Gedanken“, beruhigte er sie. „Ich kann sehr gut nachempfinden, was ihr gerade fühlt, auch wenn ich einen anderen Beruf habe; das bedeutet nicht, dass ich es leichter hatte. Aber glaubt mir, länger als zwei Tage werdet ihr nicht brauchen, Vertraut Euch selbst und versucht, Euch nicht zu viel zuzumuten. Und vor allem solltet Ihr handeln und nicht allzu viel denken; das Denken eignet sich zwar für die Herstellung, aber nicht in dem Sinne, wie Ihr es tut. Ihr könnt allein mit dem Denken nichts erreichen. Denkt nur an den nächsten Schritt, handelt, und ehe Ihr Euch verseht, werdet Ihr am Ziel angekommen sein.“
Sie schaute ihn lange an und wusste, dass er Recht hatte. Lange war sie in ihren Gedanken verstrickt gewesen; dies hatte sie am Vorankommen gehindert. Sie hatte so viel von sich selbst verlangt, dass es nicht mit einem Mal zu schaffen war. Doch die kleinen Schritte, die sie langsam zum Ziel führen würden, konnte sie schaffen.
Es schien ihr so plausibel, dass sie beschloss, seinen Rat anzunehmen.
Von nun an arbeitete sie Schritt für Schritt und dachte nicht an die Prüfung, die ihr noch bevorstand; vielmehr freute sie sich auf die Besuche Kyrons, die oft mehrmals am Tage stattfanden. Sie erkannte die kleinen Erfolge und nahm es als die Aufgabe, die es in Wirklichkeit war: In jedem Schritt einen Fortschritt zu sehen. Selbst, wenn Kyron ihr nicht immer beistand.

Feanna saß auf einem Baumstumpf in Rhazad und hielt den Kopf in ihren Händen. Sie konnte es kaum glauben, was sie soeben erfahren hatte. Fennah saß neben ihr und hatte eine ähnliche Position eingenommen. Schließlich meinte sie: „Ja, meine Mutter hat mir ebenfalls einen merkwürdigen Brief geschickt…aber ich wusste nicht, dass es auch eure Mutter…“ Sie schüttelte den Kopf.
„Ich verstehe diese Geheimnistuerei nicht“, brauste Feanna auf, „was sollte uns das bringen?“
„Ich verstehe sie schon“, entgegnete Fennah ruhig. „Sie hat irgendwie versucht, uns zu schützen. Sie weiß, dass wir beide sehr stolz sind. Wir sollten in Frieden miteinander leben können…und sie wollte uns die Wahrheit erst sagen, als dies für sie gewährleistet war. Weißt du, ich war verbittert, als sie meinen Vater verließ.“
Sie schauten sich einen Moment lang in die Augen. „Um zu meinem zu gehen“, vollendete Feanna den Gedanken. Sie begriff plötzlich die Tragweite der Ereignisse und dachte lange nach. Saria und sie hatten ihr ganzes Leben lang über ihre Herkunft – über ihren Vater – nachgedacht, der für Fennah eine Art Feind darstellte, welcher ihre eigene Familie auseinandergerissen hatte. Vielleicht wären sie sich nie so nahe gekommen, hätte Fennah gewusst, dass Feanna von diesem Feind abstammte. Vor allem für sie, die den ehrenvollen Weg eines Klerikers eingeschlagen hatte, musste es eine schlimme Geschichte gewesen sein. Nun verstand Feanna, warum Fennah nur dürftigen Kontakt zu ihrer Mutter pflegte. Plötzlich verstand sie sehr viel. Da war die Ähnlichkeit zwischen Fennah und ihrer Stiefmutter, die ihr schon oft aufgefallen war; da waren ihre ähnlichen Namen. Es war verwirrend und sie kniff die Augen zu, um einen klaren Gedanken fassen zu können. Dann stellte sie die Frage, die sie stellen musste: „Kanntest du meinen Vater?“
Fennah stieß einen tiefen Seufzer aus, den Feanna nicht gleich deuten konnte.
„Ja, ich kenne ihn“, sagte sie schließlich. „Und er spielt gerade in diesem Moment eine große Rolle.“
Feanna starrte sie ungläubig an.

In Tawar Galan fielen sich Saria und Kyron in die Arme. „Ich habe es geschafft!“ rief sie atemlos und mit blitzenden Augen. „Ich kann es kaum glauben. Nun stehen mir nur noch die letzten Prüfungen bevor.“
„Und Ihr wart schnell“, erinnerte Kyron sie, „beinahe zu schnell für meinen Geschmack. Aber nun müssen wir uns trennen. Ihr wisst, dass ihr zu den anderen Kontinenten reisen müsst, um Eure Aufgabe zu beenden. Und Ihr werdet sie gut meistern.“
Sie schaute eine Weile zu Boden, dann blickte sie unsicher zu ihm auf. „Werden wir uns wieder sehen?“ fragte sie.
Er zögerte. „wenn Ihr Euch eine Weile gedulden könnt“, sagte er schließlich bedrückt. „ich werde bald in einen großen Kampf ziehen und weiß nicht, wie lange er dauern wird. Aber mein Herz wird bei Euch sein.“ Er sah die Überraschung in ihren Augen. „Das ist es jetzt schon.“
Sie nahm seine Hand. „Dann werde ich beruhigt aufbrechen können.“

Die Aufregung über die bevorstehenden Prüfungen – und vor allem die langen Reisen – halfen ihr, sich nicht allzu sehr von den Gedanken an Kyron einnehmen zu lassen. Überraschenderweise waren diese keineswegs trist; sie gaben ihr Halt und die Gewissheit, eine verwandte Seele gefunden zu haben. Dennoch verpasste sie beinahe ihr Schiff, als sie sich auf den Weg zum Hafen von Khal machte.

Feanna und Fennah brachen noch an diesem Abend auf; zu dringend war das Bedürfnis, Saria von den Neuigkeiten zu berichten. Doch zuvor mussten sie ihre Mutter aufsuchen. Ihre Gedanken überschlugen sich förmlich und Feanna suchte verzweifelt nach ihren Pfeilen, die sie währenddessen die ganze Zeit in der Hand hielt, bis Fennah sie darauf aufmerksam machte.
Im Gegensatz zu Feanna wusste Fennah, wo sich ihre Mutter aufhielt; und mit der neuen Erkenntnis war auch sie bereit, ihr gegenüberzutreten.
„Was auch immer geschehen ist“, hatte sie gesagt, „ich bin froh, dass ihr meine Schwestern wart. Das wart ihr schon immer und nichts wird meine Liebe zu euch ändern.“
Diese Worte hatten Feanna zu Tränen gerührt und sie hatte hinausgehen müssen, um diese vor Fennah zu verbergen.
„Musst du wirklich diese ganzen Rüstungsteile dort mitnehmen?“ fragte sie nun skeptisch und deutete auf zwei Paar Beinlinge, Armlinge der gleichen Anzahl und einen Ersatzhelm.
„Nun, man weiß nie, was kommt, nicht wahr?“ antwortete Fennah und zwinkerte. „Und du weißt doch, dass ab und zu auch lieber die Eigenschaften eines Kriegers an den Tag lege, als nur zu heilen.“
„Da hast du sicherlich Recht“, gab sich Feanna geschlagen. „Nun, dann nehme ich diese Schriftrollen hier auch mit…sie könnten wichtig sein.“
Fennah wusste um die Zerstreutheit Feannas, die sich nie die Gegenstände merken konnte, die sie für Aufträge brauchte und verdrehte die Augen.

Khal erstrahlte hell und warm vor Sarias Augen. Sie war froh, hier zu sein; einen Tag zuvor hatte sie nach Aghram reisen müssen, um dort ihre erste Prüfungsaufgabe zu erfahren. Sie hatte sich absichtlich Aghram als erstes Ziel ausgesucht; das Schlimmste bewahrt man sich am besten nicht für das Ende auf, dachte sie. Die labyrinthartigen Straßen dort waren ihr ein Greuel; zu oft hatte sie sich dort verirrt.
Nun sollte sie das Lager der Qalithari erkunden, um dort eine Inspiration zu finden. Vorher faltete sie sorgfältig die Schriftrolle zusammen, die sie von dem Disciple-Ausbilder in Aghram erhalten hatte; sie enthielt eine Nachricht an Ewyna, einer Vertrauten Sarias, auf die Saria anstandshalber keinen Blick geworfen hatte, auch wenn sie vor Neugierde brannte. Nun, sie musste sich auf sich selbst konzentrieren.
Sie sah nach Nordosten von Khal und erblickte einen sanft geschwungenen Pfad, der einen Berg hinaufführte. Ob sie dort hinauf musste? Es war kein weiter Weg und so beschloss sie, es darauf ankommen zu lassen.
Oben angelangt, blickte sie sich neugierig um. Sie entdeckte nichts, was ihr behilflich sein könnte. Vielleicht sollte ich einen Händler fragen, dachte sie und ging gerade auf ein zelt zu, als sie ein merkwürdiges Gefühl verspürte. Es war beinahe eine Vision. „Du musst selbst wissen, was zu tun ist“, hatte ihr Auftraggeber gesagt und Saria hatte plötzlich das Gefühl, dass sie es wusste.
Aus einer Eingebung heraus schlug sie ihr Rezeptbuch auf und traute ihren Augen kaum – zwei neue Rezepte standen da, als wären sie von ihren Gedanken auf das Papier projiziert worden. Schweigend machte sie sich an die Arbeit.
Die nächste Station war Kojan, jedoch weit oben in Martok, wo sie in Veenax Garrison ihre Inspiration erfuhr.
Und schließlich stand sie vor ihrer letzten Prüfung.

Feanna saß dem alten, weißhaarigen Mann gegenüber, dem sie wie aus dem Gesicht geschnitten schien. Ihre Mutter saß schweigend daneben und hielt seine Hand, deren Zittern er kaum kontrollieren konnte.
„Ich habe lange darauf gewartet“, krächzte er mit einer Altmännerstimme, die er nur mühsam herausbrachte. „Allen Hindernissen zum Trotz wollte ich euch Kinder und eure Mutter wieder sehen. Doch man hielt mich sehr lange gefangen. Es gibt Kreaturen, Feanna, von denen nicht einmal du zu träumen wagst und bevor ich diesen zum Opfer gefallen wäre, habe ich mir meinen letzten Wunsch vor Augen gehalten: Euch noch ein einziges Mal zu sehen.“
Feanna sagte nichts; sie konnte nichts sagen. Fennah hatte einen Arm um ihre Schulter gelegt.
„Nun ist es endlich soweit“, fuhr er fort, „und ich bin stolz darauf, was ich sehe. Alles, was ich mir jetzt noch wünsche, ist, dass ihr mir verzeiht.“
Feanna hob langsam den Kopf und blickte ihm dann fest in die Augen. „Ja“, sagte sie, „ich glaube, das kann ich.“

New Targonor war genauso, wie Saria es in Erinnerung behalten hatte. Auf der Suche nach ihrem dortigen Auftraggeber geriet sie beinahe in Verzweiflung. Hinter welcher Tür steckte er? Sie konnte sich nicht recht daran erinnern. Doch dann fiel ihr Kyrons Rat ein und sie begann, die Stadt methodisch abzusuchen. Sie fand ihn in der Ecke eines Raumes, in dem Werkbänke standen; das war gut, denn so konnte sie hier übernachten, ohne ihn noch einmal aufsuchen zu müssen. Sie vollendete ihre letzte Prüfung.

Der Wildgrowth Forest in Kojan leuchtete in seiner ganzen Pracht; rosafarbenes Gras wehte, beinahe unwirklich, sanft im Wind.
Saria konnte sich nicht erklären, weshalb Feanna sie hierher gelotst hatte; ihr Brief war noch verwirrender gewesen als der ihrer Mutter, der schon lange Zeit zurückzuliegen schien.
Sie hielt sich dicht am Pfad, um umherstreunenden Tieren auszuweichen. Dann sah sie in der Ferne eine Ansammlung von Gestalten, die bewegungslos dort warteten. Sie kam ihnen näher und erblickte Feanna dort; auch Fennah war da – und ihre Mutter. Saria blieb stehen und die Gestalten kamen langsam auf sie zu. Eine davon war ein weißhaariger Mann, der gebeugt, aber zielstrebig auf sie zuschritt. Feanna legte einen Arm um ihn. Sie führte ihn zu Saria, bis ihre Nasen sich beinahe berührten. Saria blickte in das Gesicht ihrer Mutter, konnte jedoch keine Erklärung darin entdecken.
Feanna lächelte plötzlich strahlend. „Herzlichen Glückwunsch zu deinem Erfolg, Schwester“, sagte sie und hielt den alten Mann immer noch fest. „Ich denke, jeder sollte dir dazu gratulieren.“ Sie warf dem Mann einen auffordernden Blick zu.
„Und dies, Saria“, sagte sie dann, „ist unser Vater.“

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 Betreff des Beitrags: Re: Kleine Geschichte
BeitragVerfasst: Di 22. Dez 2009, 02:11 
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Saria schlug die Augen auf und starrte ins Dunkel. Einen Moment lang wusste sie nicht, ob sie sich im Traum oder in der Wirklichkeit befand und ein befremdliches Gefühl der Unsicherheit durchströmte sie. Sie versuchte, ihre Gedanken zu beruhigen und entspannte sich ein wenig. War da nicht eben ein Klopfen gewesen? Jedoch mitten in der Nacht? Die Realität hielt sie wieder in ihren Fängen und seufzend drehte sie sich in ihrem Bett zur Seite. Sie hoffte, weiterschlafen zu können und versuchte sich zu erinnern, was sie geträumt hatte. Sie schaffte es beinahe, ihre Träume zu erreichen - da klopfte es wieder.
Stirnrunzelnd richtete sie sich auf und starrte auf die Umrisse der Eingangstür ihres kleinen Häuschens auf Carroll Island, die nun schwach zu erkennen waren.
Wer konnte das sein?
Sie wünschte, ihr Vater wäre noch hier, aber der war nach seiner langen, unfreiwilligen Abwesenheit wieder in das Haus ihrer Mutter gezogen, um dort seinen Lebensabend zu verbringen, nachdem er ein paar Tage auf der Insel verbracht hatte.
Saria selbst hatte sich wieder ihrem Handwerk gewidmet, während ihre Halbschwestern Fennah und Feanna nach den größten Schätzen in Telon trachteten. Der Gedanke ließ sie seufzen. Es hatte lange gedauert, bis Feanna ihren Beruf akzeptiert hatte, der ihnen allen ein besseres Leben ermöglichte. Erst vor ein paar Tagen hatte Saria ihren Brief mit der Bitte, ihr ein wenig Gold (in Wahrheit ist es ein Platin, erinnerte sie die hinterhältige Stimme in ihren Gedanken) zu schicken erhalten, damit Feanna weiterhin ihrer Abenteuerlust frönen konnte.
Feanna…wenn wenigstens sie hier wäre, dachte Saria und spürte, wie ihr Herz verstärkt zu klopfen begann. Diese würde nun ohne Umschweife die Tür öffnen und den späten Besucher der Ruhestörung bezichtigen. Selbstverständlich nur mit Sarias kläglichen Heilungskünsten im Rücken.
Es klopfte abermals.
Vorsichtig, um kein Geräusch zu verursachen, schlug Saria ihre Decke zurück und setzte einen nackten Fuß auf den Boden, der zu dieser kalten Jahreszeit glücklicherweise mit einem Fell ausgelegt war. Dann zögerte sie.
Was, wenn dort draußen ein wild gewordener Goblin wartete, mit dem Feanna sich angelegt hatte? Oder ein verschlagener Dunkelelf, der sie berauben wollte? Sie griff nach ihrem Stab, der neben dem Bett lag.
"Vielleicht ist es auch nur ein hilfloser Raki, der mal wieder gejagt wurde", dachte sie. Es waren vielleicht fünf Schritte bis zur Tür und sie öffnete den Mund, um nachzufragen, wer da sei, als sie ein leises Fluchen vernahm. "Verdammt."
Saria glaubte, sich verhört zu haben. Das war doch nicht…?
Die plötzliche Gewissheit, wen sie dort draußen finden würde, ließ sie mit einem Mal ihre Furcht vergessen und nun beeilte sie sich, zur Tür zu kommen. Sie riss sie auf und starrte auf den Rücken einer vertrauten Person, die in kurzer Entfernung vor ihr saß und missmutig den Kopf auf ihre Hände gestützt hatte. Wenn sie näher an der Tür gesessen hätte, dachte Saria, wäre sie vermutlich schmerzhaft auf dem Rücken gelandet.
"Feanna, was machst du denn hier?" rief sie aus, nachdem sie ihre Sprache wieder gefunden hatte.
Das Verhalten ihrer Schwester wunderte sie; diese war ungestüm in ihrer Art und hatte üblicherweise keine Skrupel, auch des Nachts in das Haus zu stürmen und Saria aus dem Schlaf zu reißen. Es musste etwas passiert sein.
Feanna drehte langsam den Kopf in ihre Richtung. "Na endlich. Ich dachte schon, ich müsse hier draußen erfrieren." Sie stand langsam auf und streckte die Glieder. Saria sah, dass sie bereits vor Kälte zitterte.
"Hättest du die Güte, mir einen warmen Schlafplatz anzubieten?" Ohne eine Antwort abzuwarten, ging Feanna an Saria vorbei ins Haus hinein und setzte sich vor den flackernden Kamin. Saria konnte ihr nur verwundert nachstarren. "Was ist denn passiert?" fragte sie und setzte dann vorsichtig hinzu: "Hattet ihr einen Misserfolg?"
Sofort schaute Feanna sie mit blitzenden Augen an. Eine derartige Frage war aufgrund ihrer vergangenen Streitigkeiten um das Abenteuer und den Beruf immer riskant. Saria wünschte, sie hätte darauf verzichtet. Doch Feannas Blick wurde mit einem Mal weicher; sie seufzte müde und bedrückt und drehte sich wieder zum Feuer. "So könnte man es nennen", sagte sie schließlich.
Erstaunt über die Offenheit ihrer Schwester setzte Saria sich zu ihr und drängte sich an sie. "Dann erzähl mir, was vorgefallen ist."
Und Feanna berichtete.

Vor Monaten, so begann sie, war sie mit dem Sechsten Haus, ihrer Gilde, und weiteren befreundeten Gilden aufgebrochen, um im Ancient Port Warehouse ihr Glück im Kampf gegen die Mächte Telons zu versuchen.
Saria nickte; sie erinnerte sich an die vielen Briefe, die sie zu dieser Zeit von Feanna erhalten hatte.
"Es war nicht einfach", fuhr diese fort, "du weißt es vielleicht nicht, doch ich hatte furchtbare Angst. Ich fühlte mich dieser Aufgabe nicht gewachsen, sie erschien so gewaltig. Noch nie zuvor wurden meine Fähigkeiten derart gefordert." Sie senkte beschämt den Kopf.
Saria legte einen Arm um ihre Schultern. "Ich verstehe dich. Ich kann deine Ängste nachfühlen und kenne dich besser, als du vielleicht glaubst, Schwesterherz."
Feanna blickte sie dankbar an. "Nun, meine Neugier war stärker als die Angst. Ich…"
"Das kenne ich", unterbrach Saria sie, "mir ging es mit meinem Beruf nicht anders…auch wenn er nicht so gefährlich ist." Sie zwinkerte und bedeutete Feanna mit einem Kopfnicken, weiterzuerzählen, was diese auch tat.
Die Kämpfe waren in der Tat sehr schwierig gewesen; oft schien die Lage aussichtslos und oft musste Feanna sich zwingen, ihre Selbstzweifel zu überwinden. Das Sechste Haus teilte ihre Gefühle und an vielen Abenden hatten sie sich gemeinsam zu ruhigen Gesprächen versammelt, in denen sie ihre Erlebnisse austauschten. Es hatte viele Mitglieder gegeben, denen die Lage befremdlich schien. "Du weißt ja, dass wir viele Gegenden erkundet haben und auch dem Tod ins Auge geblickt haben. Dies hier war jedoch etwas anderes. Hier hatte der kleinste Fehler eine größere Wirkung, als du sie dir vorstellen könnest. Doch wir wollten herausfinden, wie es weiterging."
Sie hatte ihre Fähigkeiten in den letzten Monaten erneut gründlich studiert und somit an Zuversicht hinzugewonnen. "Doch dann begannen die Mitstreiter, zu verschwinden", sagte sie.
Saria blickte sie fragend an. "Verschwinden? Meinst du, sie sind auf dem Weg verschollen oder gestorben?"
Feanna schüttelte ungeduldig den Kopf. "Nein, sie haben es aufgegeben. Ich weiß nicht genau, woran dies lag – aber lass mich weiterreden." Saria fügte sich; nicht, ohne dabei die Augen zu verdrehen.
Feanna hatte bereits in Gedanken ihre Rückreise geplant, so sagte sie.
"Ich hätte dich hier gut gebrauchen können", warf Saria ein und fing abermals einen giftigen Blick von ihrer Schwester auf.
Was angefangen hatte, schien nicht zu Ende zu gehen und Feanna hatte mit einer gewissen Wehmut zurückgeblickt. Diese Wendung war so plötzlich gekommen, dass die anstrengenden, jedoch großartigen Kämpfe ohne genügend Gefährten aussichtslos schienen. Doch dann kehrte abermals eine Wendung ein.
"Wir schlossen uns mit den verbliebenen Kämpfern und anderen Helfern zusammen", erklärte sie, "und fanden Gefallen daran. Die Herausforderungen erschienen nicht mehr so schwierig wie zuvor und wir beschlossen, uns auch in andere Gebiete vorzuwagen. So kam es schließlich, dass wir an einem ausgewählten Tag auch das Pantheon of the Ancients in einer kleineren Gruppe erkundeten. Die größeren Kämpfe gingen währenddessen wie geplant weiter."
Sie schilderte Saria die Kämpfe, während diese interessiert zuhörte. Langsam glaubte sie sogar, ihre Schwester verstehen zu können und ihre Gedanken drifteten ab, während die Worte Feannas sie einnahmen. Vielleicht würde auch sie eines Tages die weiten, gefährlichen Welten von Telon kennen lernen. Doch dies stand noch in weiter Ferne.
"Du wirst sicherlich erst deinen Beruf zu Ende bringen“", erriet Feanna ihre Gedanken, "doch auch wenn du dort recht einsam bist: Wozu gibt es deine Schwestern, die dir von anderen Möglichkeiten berichten?" Nun erwiderte sie Sarias Umarmung. "Dein Beruf ist sicherer und beständiger als das Abenteuer."
Saria hatte mit dieser Aussage gerechnet; dennoch war sie gerührt, ihrer Schwester in diesem Moment so nahe zu stehen. Sie erwiderte nichts darauf und wartete auf Feannas Fortsetzung.
Sie erfuhr, dass die Gemeinschaft plante, ihre Erkundungen auszuweiten und all ihre Kräfte auf die Bekämpfung der Schatzhüter Telons zu verbrauchen.
"Wir wollten sie häufiger angreifen, bevor sie selbst Pläne schmieden konnten. Doch viele Gefährten sahen davon ab, da die Mühe und die Erschöpfung zu groß erschien. Schließlich hörte jedoch alles auf." Sie seufzte tief und Saria konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.
"Und schon hast du Bedenken, dich den häuslichen Tätigkeiten zuwenden zu müssen, hm?"
Wider dem erwarteten Stoß, den Feanna ihr in früheren Zeiten gegeben hätte, kam nun ein Lächeln ihrer Schwester. Dann wurde ihr Gesicht so ernst, dass Saria befürchtete, abermals das Falsche gesagt zu haben.
Feanna wandte sich trübselig wieder dem Feuer zu und schlug theatralisch die Hände über dem Kopf zusammen. "Saria, dir ist das Ausmaß bei weitem nicht bekannt, wie mir."
"Das ist mir bewusst und es tut mir leid, wenn ich dich gekränkt habe."
"Nun, du verstehst nicht, was ich meine. Unsere Pläne waren durchkreuzt. Die ganzen Ziele, die wir erreichen wollten…waren nicht mehr erreichbar, verstehst du das?"
Saria nickte verständnisvoll. "Ja, ich weiß…" begann sie, wurde jedoch von Feanna unterbrochen.
"Irgendjemand hatte einen Zauber, der uns alle in Gnome verwandelte."
Saria blinzelte überrascht. "Wie bitte?"
Feanna nickte trübselig. "Ja, in der Tat. Ich wurde zu einem Gnom. Nach all den Strapazen, die ich auf mich genommen hatte, war dies unvorstellbar. Es war der Grund, warum ich schließlich dich aufsuchte, um Trost zu finden." Ihr Blick war derart intensiv auf das flackernde Feuer gerichtet, dass Saria einen Augenblick lang dachte, Feannas Augen selbst würden das Feuer fangen und von ihm verschlungen werden. Doch nicht, ehe Saria Verzweiflung in ihnen sehen konnte. Diesmal war sie selbst es jedoch, die Feanna in die Rippen kniff.
"Das Schlimmste, was uns passieren konnte ist jedoch, dass sich nun alles unmittelbar in der Nähe des Sechsten Hauses abspielt. Sie haben sich uns zugewandt." Der Blick Feannas war unerträglich, doch Saria begriff.
"Dies ist ihr Todesurteil."
"Ich weiß."
"Und hör endlich auf, deine Scherze mit mir zu treiben. Du hast mich beinahe zu Tode erschreckt."
"Das weiß ich ebenfalls. Jedoch dachte ich tatsächlich, dass uns nicht mehr vieles bleibt. Du weißt schon, was ich meine." Feanna zwinkerte.
Saria stand auf und ging auf die Küche zu. "Nein, das weiß ich nicht", meinte sie, "erkläre es mir."
Feanna stand ebenfalls auf. "Nun, du warst bei unseren Kämpfen nicht dabei. Dabei kann ich von Glück reden, denn wenn du es wüsstest, hätte ich keinen Grund mehr, zu prahlen."
Saria erwiderte nichts darauf und reichte ihrer Schwester Brot und Fleisch. "Ich denke, du könntest etwas zu essen gebrauchen", meinte sie, "und außerdem weiß ich, was du bereits angerichtet hast."
Diesmal war es Feanna, die nichts darauf erwiderte; jedoch nahm sie die Mahlzeit dankbar entgegen.
"Das Sechste Haus hat noch einiges zu lernen", fuhr Saria fort und fühlte sich mit einem Mal wohler, als zuvor. "Du weißt, Megi und Taigi….und auch Morxi, die ständig…"
"ja, ich weiß", unterbrach Feanna sie, "und mich hättest du ebenfalls erwähnt, wenn du es gewagt hättest." Sie zwinkerte.
"Vor dir habe ich keine Angst", erwiderte Saria, "und zieh gefälligst deine Rüstung aus, solange du in unserem Haus bist."
Feanna gehorchte.
"Aber ob…" fingen beide gleichzeitig an, dann lachten sie.
"Das weiß niemand", meinte Feanna und gab sich ihrer Mahlzeit hin.
"Nun, dann hoffe ich, dass es dir mundet und eure Gnome mit euch fertig werden." Saria wich Feanna aus, die mit Lebensmitteln um sich zu werfen drohte.
Bevor die Sonne aufging, schliefen sie dicht aneinander gedrängt ein.

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BeitragVerfasst: Di 22. Dez 2009, 17:28 
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Quina hat geschrieben:
"Irgendjemand hatte einen Zauber, der uns alle in Gnome verwandelte."
Saria blinzelte überrascht. "Wie bitte?"
Feanna nickte trübselig. "Ja, in der Tat. Ich wurde zu einem Gnom. Nach all den Strapazen, die ich auf mich genommen hatte, war dies unvorstellbar. Es war der Grund, warum ich schließlich dich aufsuchte, um Trost zu finden."


Mariwin, Mariwin... was hast Du getan.. :rofl:


Quina hat geschrieben:
"Das Schlimmste, was uns passieren konnte ist jedoch, dass sich nun alles unmittelbar in der Nähe des Sechsten Hauses abspielt. Sie haben sich uns zugewandt." Der Blick Feannas war unerträglich, doch Saria begriff.
"Dies ist ihr Todesurteil."
"Ich weiß."


:auslach:

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 Betreff des Beitrags: Re: Kleine Geschichte
BeitragVerfasst: So 27. Jun 2010, 00:43 
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So, damit der Mist endlich mal abgeschlossen ist ;P Gegen Ende wurde es zu viel Text, da hab ich mir weiter keine Gedanken mehr gemacht...und was soll man auch über die letzte Quest schreiben...^^ Zumindest muss Sari mal ihren "Frieden" finden, und daher mal das Ende hiervon:



Feanna stürmte auf das Haus auf Carroll Island zu, im Begriff, anschließend die Tür aufzureißen und ihrer Halbschwester Saria um den Hals zu fallen.
Sie ergriff die Klinke und war überrascht, dass die Tür nicht nachgab. Im vollen Lauf prallte sie gegen selbige. Die Tränen schossen ihr in die Augen und sie hielt sich die Nase.
„Verdammt!“ fluchte sie. „Saria, wo bist du?“ Niemand antwortete.
Zögernd schaute sich Feanna um. Ihre Schwester musste hier sein. Sie war doch immer in der Nähe, wenn man sie brauchte. Feanna ging um das Haus herum, doch auch dort fand sie Saria nicht. Üblicherweise konnte man sie am Strand finden, wo sie einfach dort saß und den Sonnenaufgang beobachtete. Doch dieser war schon längst vorbei. Feanna wurde unruhig.
Die Grillen zirpten im Gras, das noch feucht war. Wo steckte Saria bloß? Es war das erste mal, dass Feanna sich ernsthaft Sorgen um ihre Schwester machte. Alles, was sie ihr hatte sagen wollen, verblasste für einen kurzen Moment. Diesen nutzte sie aus, um sich auf ihr neues Reittier zu schwingen und die Insel abzusuchen. Doch sie konnte ihre Schwester nirgends finden. Ein Schwarm von Insekten schien sich in ihrem Magen auszubreiten. Zuerst ihr Vater und dann Saria? Nein, denk nicht an so was, dachte sie. Dennoch musste sie absteigen und sich hinsetzen, um einen klaren Gedanken zu fassen. Was nun?
Saria würde keine Nachricht von ihr bekommen können, denn niemand wusste, wo sie sich gerade aufhielt. Nicht einmal Fennah und Shyari, ihre mittlerweile engsten Freundinnen.
Was sollte Feanna tun? Sie beschloss, in Neruthos` Hütte zu gehen, welche für alle Vertrauten offen war, und dort ein wenig auszuruhen. Einen Schlüssel zu ihrem eigenen Haus hatte sie zur Zeit nicht; zu lange war sie nicht hier gewesen. Saria hatte die Schlüssel schon längst an Fennah, Shyari und Quiona, einer angehenden Diplomatin, verteilt. Diese konnte die Truhen im Haus besser nutzen, als Feanna.

Neruthos` Haus lag still und abgelegen auf einem Hügel nordwestlich von ihrem eigenen. Feanna fragte sich, ob er seine Miete rechtzeitig bezahlt hatte und kramte bereits in ihrem Goldbeutel. Doch als sie bei seinem Haus ankam, schien es gepflegt; jemand hatte das Moos von den Wänden abgekratzt.
Das muss Saria gewesen sein, dachte sie. Aus unerfindlichen Gründen konnte sie plötzlich nichts sehen. Erst, als sie die Nässe auf ihrem Gesicht spürte, wurde ihr bewusst, dass sie weinte. Sie blieb überrascht stehen. „Was ist los mit dir?“ fragte sie sich selbst laut. „Es lief doch alles gut. Was ist also los mit dir?“
Plötzlich fühlte sie sich verlassen, beinahe ängstlich. Jederzeit konnte ein Ungeheuer aus der See hinter ihr gekrochen kommen…sie beeilte sich, zur Tür zu kommen.
Es kostete sie Mühe, diese aufzustoßen – die Scharniere waren bereits verrostet. „Komm schon“, beschwor sie sich selbst, „noch ein kleines Stück.“ Die Tatsache, dass sie selbst nichts dazu beigetragen hatte, das Haus zu bauen, verdrängte sie.
Schließlich war sie im Haus. Sie blickte sich um und sah nichts als Ordnung und Gemütlichkeit. Neugierig schaute sie in die Truhen. Saria hatte hier nichts abgelegt, obwohl sie wusste, dass ihr Gildengefährte hier wohnte und ihr erlaubt hatte, dies zu tun. Vielleicht lag es auch daran, dass Telon gegen den mächtigen Zauberer, der einst die gesamte Welt gespalten hatte, verlor.
Jeder hatte sich daran gewöhnt, ab diesem Zeitpunkt in anderen Dimensionen zu leben. Jeder behalf sich seither mit Nachrichten, die er in die andere Dimension schickte, um dennoch Kontakt aufbauen zu können. Doch nun wollte der Zauberer die Welt wieder zusammen führen, was bedeutete, dass die Häuser nicht mehr in verschiedenen Dimensionen gebaut werden konnten, sondern nur auf dem Fleck, auf dem man gerade stand.
Hör auf, daran zu denken, dachte Feanna und finde lieber deine Schwester. Sie starrte eine Statue an, die vor dem Kamin saß. Die Umrisse schienen ihr vertraut.
„Oh“, murmelte sie plötzlich, „was machst du denn hier?“
Saria drehte sich um. „Dasselbe könnte ich dich fragen“, erwiderte sie. „Du warst lang nicht mehr hier.“ Sie senkte den Kopf.
Feanna übermannte abermals das Gefühl, blind zu werden, doch diesmal wusste sie, woran es lag.
„Es tut mir leid“, begann sie, „ich…“
„Es tut dir leid?“ sagte Saria mit einer Stimme, die so schneidend war, dass Feanna verstummte. „Was tut dir denn leid?“
Feanna konnte darauf nichts erwidern.
„Etwa, dass du in Hilsbury Manor warst, nachdem unser Vater gestorben ist“, fuhr Saria fort, „oder vielleicht, dass du dich danach überhaupt nicht bei mir gemeldet hast?“
Feanna ging zur Tür.
„Ja, geh nur“, sagte Saria unbarmherzig, „für dich ist alles so einfach.“ Sie brach in Tränen aus.
Feanna starrte sie an. „Ich hatte zu tun“, sagte sie schließlich.
Saria winkte ab, als würde sie ihre Bemerkung nicht zur Kenntnis nehmen. „Geh nur“, wiederholte sie.
Feanna gab auf. „Ich will nicht gehen“, sagte sie. „Eigentlich habe ich nach dir gesucht…“
„Ach ja“, unterbrach Saria sie, „und was hast du diesmal erreicht? Ich höre gespannt zu.“ Trotz dieser Worte blieb ihr Gesicht völlig ausdruckslos.
„Naja“, begann Feanna, die sich nicht mehr zu helfen wusste, „ich bin erfahrener geworden und…ach…wieso bist du so verbittert? Ich habe ein neues Reittier. Du könntest es auch haben, wenn…“ Sarias Blick ließ sie abermals verstummen.
„Ich hatte zu tun“, sagte Saria ausdruckslos.
Feanna wandte sich ab.
„Ich kann nichts dafür, dass Vater gestorben ist“, sagte sie schließlich.
Saria sagte nichts und lief zur Tür.
„Warte doch…“ begann Feanna, doch Saria war bereits draussen.
Feanna holte sie ein. „Saria!“
Sie zögerte. „Würdest du bitte endlich damit aufhören, dir die Verantwortung für alles, was passiert, zu geben?“
Saria starrte sie an, dann brach sie abermals in Tränen aus.
„Sag mir zuerst, was du erlebt hast“, stammelte sie.
„Na gut.“
Es war windig; beide konnten die Wellen sehen, die ihnen entgegenpeitschten. Zum Glück erreichen sie uns nicht, dachte Feanna. Plötzlich waren andere Dinge wichtiger für sie.
„Ganz schön schlechtes Wetter“, sagte sie. Als keine Antwort von Saria kam, fuhr sie fort: „Nun, Vater ist gestorben. Aber du hattest schöne Momente mit ihm…“ sie ignorierte Sarias verletzten Blick. „Nur, was ist denn wirklich mit dir los? Beantworte mir die Frage später. Ich bin nicht ganz so herzlos, wie du denkst. Und nun zu mir. Ich wollte dir nur mein Reittier zeigen und denke nicht, dass alles für mich so einfach war, im Gegenteil. Du weißt doch selbst, dass man für alles kämpfen muss.“
Saria erinnerte sich dumpf an die Worte ihrer Gildengefährten, die sie vor langer Zeit vernommen hatte.
„Nun“, begann sie, bereit, alles zu erzählen, „mir geht es schlecht. Ich weiß nicht mehr, wie ich in meinem Beruf vorankommen soll.“
Feanna hörte aufmerksam zu.
„Ich habe alles getan“, fuhr Saria fort, „doch…ich habe immer noch nicht das erreicht, was ich wollte. Es ist nicht so leicht“, schloss sie.
Feanna schaute sie nachdenklich an. „Du meinst, alles so herzustellen, wie du willst?“
„Woher weißt du das denn?“ brauste Saria auf.
Feanna ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.
„Nun, ich verfolge die Dinge, die du tust, genauso, wie du meine“, sagte sie schlicht.
Saria sah sie erstaunt an.
„Und das solltest du wissen“, bemerkte Feanna.
Sie sahen sich eine Weile in die Augen, bevor Feanna sagte: „Und es war auch mein Vater.“
„Und wieso bin ich dann so schwach?“ jammerte Saria.
„Weil du in deiner Arbeit vereinsamst“, entgegnete Feanna. „Aber, bevor wir uns auf tiefere Gespräche einlassen – erzähle mir doch endlich, was dich stört.“
„Ich kann das nicht so einfach.“
„Ich weiß.“
„Aber vermutlich hast du Recht.“
„Das weiß ich auch.“
Sie umarmten sich und Saria begann mit ihrer Geschichte.
„Nun, weißt du…“


Saria wusste, dass man selbst nach dem letzten verliehen Titel ihrer Meister mehr Erfahrung brauchte, um auch die letzten Rezepte ordentlich befolgen zu können.
„Ich weiß einfach nicht, was ich machen soll“, jammerte sie. „Die Aufträge werden mir zu eintönig und…ach, ich weiß auch nicht“, schloss sie lahm.
„Frag doch das Sechste Haus“, schlug Feanna vor. „Vielleicht wissen die ja, was du tun könntest.“
„Meinst du?“ fragte Saria zweifelnd.
„Ja“, bekräftigte Feanna, „du konzentrierst dich viel zu sehr auf Quiona und ihre Taten, warum auch immer. Du denkst immer noch nicht an dich.“
„Nun weißt du…“ begann Saria, wurde jedoch von einem Klopfen an der Tür unterbrochen. Die beiden Schwestern drehten sich verwundert in die Richtung. „Herein“, rief Saria – wie immer, dachte Feanna und verdrehte die Augen. Es hätte leicht ein gefährliches Wesen hineinkommen können – sogar ein Vampir, denn Vampire konnten bewohnte Häuser nur auf eine ausdrückliche Einladung betreten, wie jeder wusste. Saria machte es allen einfach viel zu leicht.
Doch es waren keine Vampire, die nun die Tür öffneten. Eine hochgewachsene Gestalt mit dunklem Haar und strahlenden Augen ging hindurch und ließ ihr gewinnendes Lächeln sehen.
„Shyari!“ rief Saria freudig und lief auf sie zu, um sie zu umarmen. Dabei sah sie die beiden anderen, die hinter Shyari das Haus betraten. Shyari lachte und schüttelte ihr Haar. „Ich habe gedacht, wir könnten dir alle einen Höflichkeitsbesuch abstatten, nachdem du so lange nichts mehr von dir hast hören lassen. Deswegen habe ich einen Tag abgewartet, an dem Fennah und Quiona ebenfalls Zeit haben würden.“
Saria umarmte Fennah und blieb dann ein wenig zögerlich vor der kleinen Dunkelelfe Quiona stehen, deren Augen in dem dunklen Gesicht unter dem dunkelroten Haar wie Eiskristalle wirkten. „Hallo Saria“, sagte sie leise mit einer seltsamen, rauchigen Stimme – für Saria klang sie bedrohlich und sie musste aus irgendeinem Grund an eine Schlange denken. Saria nickte ihr zu und lächelte verlegen. Sie mochte Quiona, jedoch wusste sie auch um ihre manchmal unangenehmen Eigenheiten Bescheid. „Was macht die Diplomatie?“ fragte sie, nachdem sich alle gesetzt hatten. Quiona musterte sie aus ihren unergründlichen Augen. „Es geht voran“, sagte sie dann mit der gleichen bedrohlichen Stimme. „Auch wenn es keine leichte Arbeit ist. Oft muss ich mich zusammennehmen, um freundlich zu den anderen zu sein.“
„Das liegt wohl im Blut“, meinte Shyari augenzwinkernd und nahm sich ein Stück Brot vom Tisch. Quiona warf ihr einen seltsamen Blick zu.
„Aber das ist nicht weiter schlimm“, beeilte Shyari sich zu sagen, „mich hassen sie in deiner Heimatstadt alle. Du bist die einzige Dunkelelfe, die mich nicht töten will. Will noch jemand Brot?“ fragte sie in die Runde, als wäre sie der Gastgeber.
„Ja gern“, meinte Feanna und ließ sich ein Stück reichen. Dann sagte sie mit bedeutungsvoller Stimme zu Syhari: „Du wirst nicht glauben, was ich letztens bekommen habe.“
Shyari schaute sie neugierig an. „Was denn?“
„Talfyn´s Hound“, antwortete Feanna und bemühte sich, ihr triumphierendes Grinsen nicht zu breit werden zu lassen.
„Nein!“
„Oh doch.“ Nun wurde ihr Grinsen doch ein wenig breiter.
„Da muss ich dir gleich die neue Waffe zeigen, die ich aus Magi Hold habe“, ereiferte sich Shyari und begann, von ihren Abenteuern zu erzählen.
Saria und Fennah warfen sich einen amüsierten Blick zu. Die beiden Nahkämpferinnen konnten sich manchmal wie kleine Kinder aufführen.
Quiona hörte mit starrem Blick zu.
Shyari erzählte munter weiter. „Und dann ging ich zu den Elementaren…du glaubst gar nicht…“ sie unterbrach sich mitten im Satz. „Was ist das?“
Alle, bis auf Quiona, folgten ihrem Blick. Er war auf einen Beutel gerichtet, der vor ihr auf dem Tisch lag.
„Der Beutel bewegt sich“, bemerkte Shyari verunsichert.
„Und was ist darin?“ wollte Fennah wissen. „Doch nicht etwa…“
„Nur ein paar Zutaten, die ich für meine magischen Künste brauche“, sagte Quiona ausdruckslos und machte sich daran, den Beutel zu öffnen.
„Moment“, rief Shyari schnell und bemühte sich, das Stück Brot, welches sie sich soeben in den Mund gesteckt hatte, hinunterzuschlucken. „Nun mach ihn ruhig auf“, meinte sie, nachdem sie es geschafft hatte.
„Sehr entgegenkommend von dir“, sagte Quiona trocken. Sie löste einen Knoten und steckte ihre Hand in den Beutel. Dann legte sie den Inhalt mitten auf den Tisch. Saria starrte, ebenso wie die anderen, darauf und hätte ihr sagen können, dass sie so etwas nicht auf ihrem Esstisch haben wollte, doch sie verkniff es sich.
„Mir ist ein wenig seltsam zumute“, stammelte Fennah. Sie war sehr blass geworden.
„Es ist das lebendige Herz eines Schakals aus Qalia“, erklärte Quiona, nicht ohne Stolz. „Ich habe es ihm erst heute herausgerissen.“
„Das sehen wir“, meinte Feanna. Sie wirkte ebenfalls etwas verstört.
„Ich gehe kurz an die frische Luft“, verkündete Fennah und stand auf.
„Wir hätten Quiona nicht mitnehmen sollen“, murmelte Shyari und sprang sogleich auf, als Quiona sich von ihrem Platz erhob. „He!“ rief sie warnend. „Wag es bloß nicht, mich noch einmal anzuspucken!“
Feanna und Saria brachen trotz des Anblicks des pochenden Herzens in Gelächter aus.
Quiona setzte sich missmutig wieder auf ihren Platz.
„Sie hat dich angespuckt?“ fragte Saria ungläubig, als sie sich wieder beruhigt hatte.
„Sie hatte es verdient“, antwortete Quiona kurz.
„Ich hab ihr beigebracht, dass man so etwas nicht macht“, sagte Shyari und setzte sich ebenfalls. „Manchmal muss man den Leuten Respekt beibringen.“ Sie schaute Quiona an. „Und nun verstehen wir uns wieder, richtig?“
Quiona blickte hasserfüllt zurück, sagte jedoch nichts.
Fennah kam wieder zur Tür hinein. „Könnte bitte jemand…“ sie deutete auf den Tisch und schaute bittend in die Runde.
„Natürlich“, sagte Quiona und nahm das Herz vorsichtig wieder auf, um es in den Beutel zu verstauen. Irgendetwas an dieser Handlung musste zu viel für Fennah gewesen sein; ihre Augen verdrehten sich nach hinten, bis nur noch das Weiße zu sehen war. Dann verlor sie den Kampf gegen die Ohnmacht. Bei dem Versuch, sie aufzufangen, wurde Saria mit zu Boden gerissen.
„Magier“, sagte Feanna und seufzte. „Ein wenig Stärke würde euch gut tun.“
„Ach, halt doch den Mund“, entgegnete Shyari, „du hättest sie ja ebenso auffangen können.“ Sie war die einzige, die so mit Feanna reden durfte.
„Und so etwas nennt sich einen Heiler“, spottete Quiona mit einem Blick auf Fennah.
„Sie bevorzugt eben andere Heilmethoden“, sagte Shyari spitz und half Saria auf. Dann kniete sie sich neben Fennah und öffnete ein Fläschchen, welches sie ihr unter die Nase hielt. Fennah riss die Augen auf. „Was…“ sie schaute sich erschrocken um. „Ich bin doch nicht wirklich…“ Sie stieß einen tiefen Seufzer aus.
„Du solltest etwas essen“, riet Saria und holte eine Decke aus dem Nebenzimmer. Sie legte sie Fennah um die Schultern. Dann seufzte sie so tief, dass alle sie erstaunt ansahen.
„Geht es dir nicht gut?“ fragte Shyari mit besorgten Augen.
„Ach, es ist nur…“ Saria erzählte ihr das, was sie bereits Feanna erzählt hatte.
Shyari sah sie eine Weile an, dann blitzte es plötzlich in ihren Augen. „Beinahe hätte ich es vergessen.“ Sie wühlte in ihrem Beutel und zog einen Brief heraus. „Ich habe ihn vorhin vor der Tür gefunden. Er ist an dich adressiert.“
Was kommt nun, dachte Saria, als sie den Brief entgegen nahm. Die meisten Briefe, die sie in den vergangen Monaten erhalten hatten, waren verstörend gewesen. Sie wappnete sich innerlich gegen eine schlechte Nachricht. Dann fing sie an, zu lesen.

Werte Saria,

lange hat sich mein Herz danach gesehnt, Euch diesen Brief schreiben zu können.
Ich habe all meine Verpflichtungen und Aufgaben erfüllt und blicke ruhigen Zeiten entgegen – vielleicht sogar für Monate. Ich werde zumindest genügend Zeit haben, um Euch wenigstens einmal wieder zu sehen, falls Ihr dies wünscht.
Seit ich Euch zum letzten Mal gesehen habe, konnten sich meine Gedanken nicht mehr von Euch abwenden und mein Herz ist bereit, Euch öfter als nur einmal zu sehen. Mehr wage ich nicht zu sagen, denn ich überlasse Euch die Entscheidung.
Bitte antwortet mir, sobald Ihr diesen Brief gelesen habt.

In tiefer Ergebenheit,
Euer Kyron.


Die Hitze um Saria herum schien sich plötzlich zu verstärken. Ihr war, als würde sich ein Schwarm von Schmetterlingen aus ihrem Bauch auf den Weg zu ihren Wangen machen, um dort die Lippen zu einem Lächeln auseinander zu ziehen.
Die anderen schauten sie neugierig an.
„Du lächelst ja“, bemerkte Feanna.
Saria nickte zerstreut. Sie hatte das Bedürfnis, den Brief noch einmal zu lesen, besann sich jedoch und rollte ihn zusammen. Mühsam versuchte sie, das Lächeln zu unterdrücken.
„Deine Augen Blitzen so“, bohrte Fennah weiter.
„Ja und du bist errötet“, setzte Shyari hinzu.
„Ach…tatsächlich?“ Saria versuchte möglichst unauffällig, den Blicken den anderen auszuweichen, doch es gelang ihr nicht.
Quiona stieß einen lauten Seufzer aus. „Wer ist er?“ fragte sie zu dem Erstaunen aller.
„Kyron“, antwortete Saria schüchtern. „ich habe ihn vor ein paar Monaten auf der Reise nach Tawar Galan kennen gelernt. Ich…“ sie verstummte.
„Du bist verliebt“, stellte Feanna fest – nicht ohne Freude. „Warum erzählst du mir so was nicht sofort?“
Saria zuckte mit den Achseln.
„Achte auf seine Augen“, sagte Quiona starr, „die Augen verraten viel.“
„Du musst dich ja damit auskennen“, bemerkte Shyari und lachte.
Quiona warf ihr einen kühlen Blick zu; dennoch schien sie amüsiert. „Mit Augen kann ich nichts anfangen“, erklärte sie knapp. „Sie sind nur Fenster zu den…wichtigeren Teilen des Körpers.“
„Oh, verstehe“, sagte Shyari und hob die Augenbrauen.
Saria wurde ein wenig unbehaglich zumute. Vielleicht hätte sie Quiona doch nichts erzählen sollen.
„Ich denke…seine Augen sind…in Ordnung“, murmelte sie und bereute es sogleich.
„Das hoffe ich für dich.“ Quiona schaute sie durchdringend an. Saria war beinahe versucht, ihr zu glauben.

„Nun, es hat mich gefreut, dich einmal wieder zu sehen“, sagte Shyari beim Abschied. Die Sonne war bereits untergegangen und sie hatten viele heitere Stunden zusammen verbracht: selbst Quiona wirkte nicht mehr so abweisend wie zuvor.
Saria fühlte sich viel besser als am Morgen vor Feannas Besuch. Sie versuchte sich auszureden, dass dies wohl zum größten Teil an Kyrons Brief lag.
„Aber bitte, biete mir nie wieder dieses Bier an, das du von Hrugin hast. Ich weiß nicht einmal, ob ich den Weg nach Hause finde.“ Shyari zwinkerte. Saria musste lächeln.
Auf dem Weg hinaus – gefolgt von Quiona und Fennah – drehte sich Shyari noch einmal um. Sie schien nachzudenken, dann sagte sie: „Und vergiss nicht, das Sechste Haus um Rat zu fragen. Wir haben alle keinen handwerklichen Beruf, doch Sirakat ist ebenfalls Schneiderin und wird dir sicher einen guten Rat geben können.“
Sie winkte Saria noch einmal zu und verließ mit den anderen das Haus.
Feanna schloss hinter ihnen die Tür und blickte Saria an. „Dasselbe habe ich dir auch gesagt“, meinte sie dann, „aber auf mich hörst du ja nie.“
Saria, die ihre Schwester gut genug kannte, wusste, dass diese Aussage nicht ernst gemeint war. „Komm, lass uns ins Bett gehen“, sagte sie und legte einen Arm um Feanna.

Saria wälzte sich im Bett hin und her und versuchte laufend, die Uhrzeit einzuschätzen. Mehrmals hatte Feanna sie in die Rippen gestoßen, damit sie Ruhe gab. Doch erst, als Feanna nicht mehr neben ihr lag, setzte sie sich verstört auf.
Sie schaute zum Fenster hinaus. Auf dieser Seite ging die Sonne unter. Doch es war bereits zu hell, als dass Feanna einen Grund gehabt hätte, noch im Bett zu liegen. Das konnte doch nicht wahr sein.
Sie sprang schneller auf, als gut für sie war; einen Moment lang taumelte sie auf der Türschwelle, während der Wind um sie herum wehte. Feanna kam hinter dem Haus hervor. „Na, auch schon wach?“ fragte sie munter.
„Warum hast du mich nicht geweckt?“ herrschte Saria sie an. „Verdammt, kümmerst du dich denn nie um etwas…“
Feanna sagte eine Weile nichts. „Doch“, antwortete sie dann, „aber du hattest einen solch unruhigen Schlaf, dass ich dachte, es wäre vielleicht besser, wenn ich das nicht täte…irgendetwas stimmt doch ganz und gar nicht mit dir.“ Sie nahm einen kleinen Zweig vom Boden und betrachtete ihn, als wäre er etwas Besonderes.
„Dabei hatten wir gestern einen schönen Abend“, fügte sie hinzu und beobachtete Saria aus den Augenwinkeln.
„Ach, halt doch den Mund.“ Saria ließ sie stehen und ging zum Strand hinunter.
Feanna ging ihr nach.
„Nun frag doch endlich“, sagte sie, als sie neben ihr im Sand saß. „Und schreibe Kyron.“
Saria stand wortlos auf.

Werte Saria,
Ihr wolltet nach einer schnellen Lösung für Euer Problem wissen.
Nun, ohne auf Eure sonstigen Leiden einzugehen, die Ihr gewiss habt: Versucht es doch in New Targonor. Dort findet Ihr Aufträge, die Ihr noch nicht angenommen habt. Sollten sie Euch zu unbedeutend erscheinen, so seid Euch bewusst: Nicht alles, was unbedeutend erscheint, muss auch unbedeutend sein. Geht zu Ashlyn Blackshield in New Targonor und lasst Ecuh von Ihr weiterführen.

Eure Sirakat


Saria starrte eine Weile auf den Brief, dann machte sie sich auf den Weg nach New Targonor.

„Was machst du denn hier?“ fragte Quiona, über die Saria beinahe gestolpert wäre.
„Quiona!“ rief Saria überrascht aus. „Was treibt dich denn hierher?“
Quiona lächelte auf ihre eigene, bedrohliche Art. Hätte Saria sie nicht gekannt, so hätte sie in diesem Moment das Weite gesucht.
„Ich muss mich mit einigen hier gut stellen“, sagte Quiona.
„Achso. Dann wünsche ich dir viel Glück dabei“, erwiderte Saria und wollte sich umdrehen, doch Quiona hielt sie am Ärmel fest. Saria schaute sie überrascht an.
„Glaube nicht, dass mir alles leicht fällt“, sagte Quiona. Ihr Blick blieb starr, doch in ihrer Stimme schien sich etwas zu verändern. „Nun, was führt dich denn hierher? Du hättest mir die Frage beantworten können, ehe du dich aus dem Staub machen wolltest.“
Saria hätte nie zu träumen gewagt, dass Quiona sie zu einer Antwort überreden konnte, doch nun schien es so. „Nun…ich suche Aufträge. Ich hoffe, sie werden mich in meinem Beruf weiterbringen.“
„Nun, das hoffe ich auch bei mir“, meinte Quiona, „aber Sirakat hat dir doch bereits einen Brief geschrieben, oder nicht?“
„Woher weißt du das?“ Saria löste ihren Ärmel aus Quionas Griff.
„Was glaubst du denn, wieso Sirakat dir geschrieben hat?“ fragte Quiona ruhig.
„Du hast das getan? Du hast ihr geschrieben?“ Saria blickte sie ungläubig an.
„Ja.“
„Warum?“
„Weil ich nicht das Bedürfnis habe, mir mein eigenes Herz herauszureißen, so wie du.“ Quiona schaute ihr fest in die Augen.
Saria konnte dem Blick kaum standhalten. Vielleicht, weil in den Eiskristallen plötzlich Leben zu herrschen schien.
„Wirst du es tun?“ fragte Quiona.
„Ich muss wohl.“ Saria ließ den Kopf hängen.
„Ich zähle auf dich“, sagte Quiona. „Ich werde mich ebenso um mein Amt bemühen.“ Damit drehte sie sich um und ging davon.
Saria starrte ihr hinterher.

New Targonor war einsam und verlassen. Quiona antwortete nicht mehr auf Sarias Briefe und Saria hatte das Gefühl, ihre Erlebnisse mit niemandem teilen zu können.
Feanna lachte nur über ihre Aufträge, die sie bekam. „Das ist nichts für dich“, pflegte sie zu sagen, „du bist zu viel mehr imstande.“
Doch Saria wusste es besser. Niemand konnte verstehen, um wie viel erfahrener sie durch diese Aufträge wurde. Sie bemühte sich, diese sorgsam abzuschließen – doch oft hatte sie das Bedürfnis, nach Hause zu reisen, auf ihre geliebte Insel und an nichts mehr denken zu müssen.

Liebste Saria, meine Tochter,

tu was du willst.

Deine dich liebende Mutter.


Saria schenkte diesem Brief ebenso wenig Beachtung wie dem folgenden:

Werte Saria,

ich erhielt bisher immer noch keine Antwort von Euch.
Bitte sagt mir, ob Ihr mich verachtet oder zumindest, ob Ihr noch am Leben seid.

Euer Untergebener
Kyron


Sie arbeitete stillschweigend und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Wie sollte sie Kyron auch sagen, dass sie selbst zu tun hatte?
Nun, zumindest schien ihre Arbeit Früchte zu tragen. Ihre Fähigkeiten wurden mit jedem Auftrag gesteigert.
Sie erfüllte weiterhin Aufträge für New Targonor und schien ihrem Ziel näher zu kommen. Doch die Schwermut übermannte sie und nichts schien ihr helfen zu können. Wer kann mir auch helfen? Fragte sie sich. Wer kann mir helfen, ohne, dass ich demjenigen helfen muss?
Dann erreichte sie erneut ein Brief.

Saria,
wie weit bist du?

Quiona


Saria saß in ihrem Haus und zitterte. Draußen war es bedrohlich kalt geworden; selbst Feanna kam nicht mehr hierher, sondern verbrachte ihre Nächte in Kojan, wo es um diese Zeit auch in den Nächten schwül und drückend war.
Saria zog sich die Decke enger um die schmalen Schultern. Dann klopfte es an der Tür.
„Ich verstehe nicht“, sagte Quiona, sobald sie das Haus betrat, „Warum du nicht um Hilfe bittest. Du tust das beinahe nie. War ein Teil deiner Familie eine Dunkelelfe?“
Sie setzte sich neben Saria auf das Bett und entzog ihr die Decke.
„Nein“, antwortete Saria und versuchte, die Decke wieder zurückzuziehen, „aber…du wirst so etwas nicht verstehen.“
„Ach, nicht?“ Quionas Augen waren ausdruckslos – wie immer, dachte Saria. Doch irgend etwas musste sich doch verändert haben.
„Ich weiß nicht“, meinte sie verunsichert, „also seitdem ich dich kenne…“
„...du kennst doch keine Dunkelelfen, außer mir“, unterbrach sie Quiona „stimmt das nicht?“
„Doch, Megilloth, Morxaine…“ begann Saria, wurde jedoch abermals unterbrochen.
„Und Kalandros. Was glaubst du, wer mir geholfen hat, als ich genau wie du irgendwo saß und meine eigenen Gedanken nicht ordnen konnte? Es war Kalandros, ein Dunkelelf. Und was ist mit Neruthos? Nun überleg doch, bei wem du dich immer ausruhen kannst, wenn sogar dein eigenes Haus dir zu Kopf steigt.“
Saria durchschaute Quionas List, wusste jedoch nichts darauf zu antworten.
„Wann antwortest du endlich Kyron?“ fragte Quiona.
"Bitte frag nicht danach", antwortete Saria.

Saria trat langsam auf ihr Haus zu. Sie konnte Quionas Augen bereits von weitem erkennen. Sie rannte auf sie zu. „Ich danke dir.“
Quiona erwiderte Sarias Umarmung. „Und ich bin froh, dass du es geschafft hast. Ich habe gelogen, als ich dir sagte, ich wäre in der Diplomatie weiter fortgeschritten. Aber für einen guten Zweck. Ich kann es kaum glauben, dass…nun lassen wir das. Wir haben genügend über die Natur der Dunkelelfen diskutiert.“
Saria musste lächeln. „Nun, ich hoffe, wir werden uns immer helfen können – ganz egal, welchem Stamm du angehörst.“ Sie hielt Quiona fest, bis diese sagte: „Nun geh in dein Haus.“
„Warum?“ wollte Saria wissen.
Quiona sagte nichts, doch zum ersten Mal schienen ihre Gesichtszüge eine Regung zu zeigen.
„Dunkelelfen“, meinte sie, „sind in der Lage, mit allem umgehen zu können. Warum kannst du das nicht?“
Saria schaute sie verwirrt an.
„Nun ja“, fuhr Quiona fort, „du hast das Glück, dass deine Freunde mehr erkennen, als du.“ Damit wies sie mit einem Kopfnicken auf die Tür.
Saria schaute verunsichert auf die schwachen Umrisse, die in der Abenddämmerung zu verblassen schienen.
„Saria“, sagte Quiona, „Vertraue mir.“
Saria öffnete die Tür.
„Na endlich!“ Shyari, die sonst so ruhige und überlegte Nahkämpferin, fiel ihr um den Hals.
Sarias Augen suchten nach Feanna; diese stand an der hinteren Wand und schmunzelte. Auch Fennah war da; sie sah verstört, aber erleichtert aus. Saria ging zu ihr hin und umarmte sie, so wie sie Shyari zuvor umarmt hatte. Überrascht bemerkte sie, dass Nässe ihren Stoff durchdrang. Auf ihren fragenden Blick hin bemerkte Fennah: „Uns halten die Dinge zusammen, die so manches einzelne Wesen spalten. Frag nicht weiter.“ Dann fasste sie Saria an den Schultern und drehte sie um. „Sie mal, wer da ist.“
„Jovana ist da…und auch Kiava…“ ihre Augen wurden groß. Sie konnte nichts sagen.
Eine Gestalt trat lächelnd auf sie zu. Sie bemerkte nicht, dass Quiona, gefolgt von Kalandros, die Tür zum Haus öffnete. Sie bemerkte auch nicht den Streit, in den die beiden vertieft waren.
„Warum habt Ihr mir nicht geschrieben?“ fragte Kyron und nahm Sarias Hände. „Ich nahm diese Einladung nur widerwillig an. Es sind zu viele Personen um uns herum…“
„Diese müsst ihr akzeptieren“, erwiderte Saria und bemühte sich, den üblichen Insektenschwarm, der sie überfiel, wenn Kyron in der Nähe war, unter Kontrolle zu halten. „Aber wir haben es geschafft“, meinte sie. „Nein…ich habe es geschafft.“
„Was auch immer Ihr geschafft habt“, sagte Kyron, „es wird mit allen geteilt.“ Er ließ ihre Hände los. „Und ich hoffe, auch mit mir. Für alle Zeiten.“
Saria blickte ihm in die Augen. „Ich hoffe es auch“, sagte sie.
Sie fühlte, wie Quiona ihr mit der Hand über den Nacken strich, dann konnte sie nichts mehr sagen, da ihre Gäste über Hunger klagten.

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 Betreff des Beitrags: Re: Kleine Geschichte
BeitragVerfasst: Mo 28. Jun 2010, 16:37 
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Irgendwie mag ich Quiona in der Geschichte am meisten. *g*

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