Das Sechste Haus
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 Betreff des Beitrags: Re: Kleine Geschichte
BeitragVerfasst: Mo 28. Jun 2010, 17:37 
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Gildenmitglied

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Das lässt ja tief blicken :D

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 Betreff des Beitrags: Re: Kleine Geschichte
BeitragVerfasst: Mo 28. Jun 2010, 18:23 
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Gildenmitglied

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Beiträge: 1316
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Taigabaer hat geschrieben:
Irgendwie mag ich Quiona in der Geschichte am meisten. *g*

naja, ich auch ;-)

und Megi fühlt sich voll verantwortlich für die kleine, und ist dabei irrsinnig stolz auf sie :D
naja, dunkelelfen :rolleyes:

;)

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Das Sechste Haus

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 Betreff des Beitrags: Re: Kleine Geschichte
BeitragVerfasst: Di 29. Jun 2010, 16:22 
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Gildenmitglied

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Beiträge: 1484
Ach übrigens, bevor sich noch jemand fragt, wer denn dieser Kyron ist:
Wollte eigentlich meinen Pala Khiron nehmen, aber...Saria mit dem Zwerg, das geht ja gar nicht, daher hab ich Kyron erfunden.
Ich würd ja kaum mit nem echten Char sone Schmacht-Story aufziehen, aber ihr wisst ja...wenn einem nichts mehr einfällt, baut man Blödsinns-Liebesszenen ein :P
Allerdings gab es vor 2 Jahren wohl tatsächlich einen Kyron auf Halgar, der war aber Waldelf...:P

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 Betreff des Beitrags: Re: Kleine Geschichte
BeitragVerfasst: Do 24. Mär 2011, 00:44 
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Gildenmitglied

Registriert: Sa 1. Mär 2008, 19:10
Beiträge: 1484
ACHTUNG! DIESE GESCHICHTE IST FÜR LESER OHNE 200 BÜCHER IM REGAL NICHT GEEIGNET UND KANN ZU AKUTEN ERSCHÖPFUNGSERSCHEINUNGEN UND TÖDLICHER LANGEWEILE FÜHREN.
(ich habe es mal hier reingepackt, da es mit den anderen Geschichten zusammenhängt. Und wie immer ging mir gegen Ende die Puste aus, aber wurd ja auch mal Zeit).


Shyari blickte sich um.
Der Wind wehte sanft über das Gras, welches sie betrachtete.
Dies war also Carroll Island, ihre Heimatinsel, auf der sie so lange gewohnt hatte.
Sie wollte nicht mit ihren Freundinnen reden. Diese würden ihre Pläne nicht verstehen.
Sie setzte sich an den Strand und dachte nach. All ihre Gefährten…und auch die anderen…
„Was machst du denn hier?“
Shyari drehte sich um.
„Feanna, ich hasse dich.“
Feanna betrachtete sie mit einer Mischung aus Besorgnis und Neugier. „Und warum hasst du mich?“ meinte sie dann.
„Weil du immer dann auftauchst, wenn ich nachdenken muss“, sagte Shyari schlicht.
„Achso.“
Feanna atmete die Meeresluft ein, bevor sie fragte: „Du wirst wegziehen, nicht wahr?“
Shyari gab zunächst keine Antwort.
„Und du weißt nicht, was dir die neue Gegend bringen wird“, fuhr Feanna fort und setzte sich vor Shyaris Gesicht. „Du weißt nicht mal, ob du auf Telon bleiben wirst, nicht wahr?“
Shyari seufzte. Sie blickte Feanna an und überlegte, was sie antworten sollte.
Feanna nickte. „Saria und ich ziehen auch um“, erzählte sie weiter, „alle anderen werden wohl mitkommen. Ich weiß, was du denkst…“ sie seufzte ebenfalls.
„Du weißt überhaupt nicht, was ich denke“, entgegnete Shyari und stand auf. Ihr feindseliger Blick bedeutete Feanna, nichts mehr zu sagen. Feanna schaute zu Boden und schwieg.
„Telon oder Telara“, sagte Shyari schließlich, „das macht keinen Unterschied, oder?“
Feanna sagte immer noch nichts.
„Aber ich wusste gar nicht, dass ihr auch wegzieht“, fuhr Shyari fort. „Das ist wenigstens ein Trost.“
Feanna seufzte. „Was bleibt uns anderes übrig?“ Sie stützte das Kinn auf die Hände. „Es wird nur schwer, das Fennah zu erklären. Du weißt doch, wie sie ist.“
„Oh ja.“ Shyari dachte an Sarias sensible Halbschwester. „Vielleicht sollte lieber Saria das machen. Sie hat einen Hang zum Melodramatischen und wird sie sicher besser trösten können als wir beide.“
„Saria hat es nicht wirklich schwer aufgefasst. Im Grunde war es sogar ihre Idee. Aber für sie ist es leichter; sie hat ja jetzt Kyron.“
„Stimmt.“ Shyari verdrehte die Augen. „Meinst du, sie heiraten?“
Feanna schaute sie entsetzt an. „Bloß nicht! Sie ist so schon sentimental genug.“
Shyari dachte nach. „Nun ja…ich würde es ihr gönnen. Selbst Quiona sagte, dass es ihr vielleicht gut tun würde. Und weißt du…na ja, also…manchmal, wenn ich kämpfen muss oder durch einsame, gefährliche Gegenden laufe…also ich…wer ist dann gern allein.“
Feanna runzelte die Stirn. „Was willst du mir eigentlich damit sagen? Du bist doch nie allein.“
Shyari verdrehte ungeduldig die Augen. „Du weißt doch ganz genau, was ich meine. Saria war auch nie allein…“
Feanna lachte und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Bitte verschone mich mit so einem Kitsch.“
„Na wenn du meinst.“
„Hallo“, ertönte eine Stimme hinter ihnen, „was macht ihr denn hier?“
Sie drehten sich um und sahen Saria auf sie zukommen.
„Wir haben uns gerade über den Umzug unterhalten“, sagte Feanna.
Shyari hob die Augenbrauen.
„Ach, so.“ Saria setzte sich neben sie und atmete tief ein. „Es wird schwer, nicht wahr?“
Feanna zuckte mit den Schultern. „Ach, ich freue mich eigentlich darauf. Ich hoffe nur, dass wir so ein schönes Plätzchen finden, wie wir es jetzt haben.“
„Ja, das hoffe ich auch“, stimmte Shyari zu.
„Und ich erst…“ Saria seufzte. Dann dachte sie eine Weile nach, ehe sie sich an Shyari wandte: „Du meinst es doch hoffentlich nicht erst mit deinen Plänen hinsichtlich Telara?“
Shyari verwünschte sich dafür, diesen Platz zum Nachdenken ausgesucht zu haben.
„Ich weiß es nicht“, meinte sie.
„Mutter sagt, die Tochter ihrer Freundin wohnt jetzt dort“, berichtete Saria. „Und es ist dort schwierig für jemanden, der sesshaft werden will. Der Kontinent wurde neu gegründet, wie ihr wisst und es ist schwer, an eine Baugenehmigung zu kommen, wenn überhaupt. Tatia, die Tochter, übernachtet meistens in den Hauptstädten oder in Zeltlagern. An deiner Stelle würde ich Kontakt zu ihr aufnehmen, bevor du voreilig eine Entscheidung triffst.“
„Hm“, machte Shyari. „Vielleicht hast du Recht.“ Sie stand auf. „Wie dem auch sei, ich werde jetzt einen Spaziergang machen. Vergiss nicht, mit Fennah zu reden.“ Damit ging sie davon, während Saria ihr verblüfft hinterher schaute. Dann wandte sie sich zu Feanna. „Wieso ich? Wieso immer ich?“
Feanna grinste. „Nun, wenn du es nicht tun willst, sage ich ihr, sie soll packen und sich von ihrer Heimat verabschieden, ansonsten stünde sie allein da.“
„Nun gut, ich mache es“, gab Saria sich geschlagen.

Quiona sortierte in aller Ruhe ihre Sachen. Ein anderer wäre bei dem Anblick ihrer prall gefüllten Schränke in schiere Verzweiflung ausgebrochen; sie selbst ließ keine Gefühlregung erkennen und arbeitete mit steter Konzentration.
Da klopfte es an der Tür.
Sie drehte sich verwundert um; sie erwartete keinen Besuch. „Herein“, sagte sie.
Die Tür öffnete sich und Fennah trat ein.
„Hallo, Quiona. Ich war gerade in der Gegend und wollte sehen, wie es dir geht.“
Quiona musste lächeln. Es hatte Zeiten gegeben, da sie Fennah nicht besonders mochte; dies hatte sich aber nach einer Feier – sie schien schon ewig her zu sein – geändert.
„Mir geht es gut“, meinte sie, während sie eine Robe zusammenfaltete und in eine Truhe legte.
Fennah schaute ihr verwundert zu. „Was tust du da?“
„Ich packe“, antwortete Quiona schlicht. „Wenn du willst, kannst du mir dabei helfen. Es ist nicht gerade wenig.“
„Du packst?“ fragte Fennah und runzelte verwirrt die Stirn. „Wozu?“
Quiona hielt inne. Dann schaute sie auf. „Du weißt nicht, wozu?“ Ein Hauch von Besorgnis umspielte ihre Augen. Nun würde sie sich auch noch mit Fennahs Rührseligkeit auseinandersetzen müssen.
„Nein“, antwortete Fennah. „Verreist du?“
Als Dunkelelfe fiel es Quiona nicht leicht, auf andere zuzugehen. Sie hatte jedoch die Begabung, deren Gefühle zu erkennen und entsprechend darauf zu reagieren. Diese schien sie in diesem Moment jedoch im Stich zu lassen. Sie überlegte kurz.
„Ich werde nach Telon ziehen, du weißt ja, dass man das eigentliche Telon aufgeteilt hat. Ich muss es einfach tun. Natürlich bleiben wir in Kontakt.“ Und zwar aus nächster Nähe, fügte sie in Gedanken hinzu.
„Oh.“ Fennah wirkte verunsichert. „Nun…ich…“ stammelte sie, „das ist schade. Wissen die anderen schon davon?“
„Ja“, sagte Quiona und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu.
Nach einer Weile half ihr Fennah unbewusst dabei. „Hm“, meinte sie nach einer Weile des Schweigens, „und wie ist es dort so?“
„Ich hoffe, gut.“
„Achso.“
Es entstand wieder ein längeres Schweigen; das Problem mit Quiona ist, dachte Fennah, dass sie einfach zu wortkarg ist.
„Und was sagen die anderen dazu?“ hakte sie nach.
„Du kannst sie ja fragen. Für mich steht die Entscheidung jedenfalls fest und ich finde es nicht schade“, sagte Quiona. Sie musterte kritisch ein paar Beinlinge und überlegte, ob sie diese nicht einfach loswerden sollte.
Fennah wusste, dass Quiona keine leichtfertigen Entscheidungen traf. „Klingt aufregend“, meinte sie und beobachtete sie aus den Augenwinkeln.
„Shyari ist übrigens auch ganz wild auf diese Idee“, meinte Quiona beiläufig, während sie die Beinlinge vorerst zur Seite legte. „Du kennst sie ja. Sie ist immer schnell zu begeistern.“
„Ja, das stimmt“, sagte Fennah automatisch, obwohl ihr mit einem Mal tausend Gedanken durch den Kopf schossen. „Meinst du, es wird schön dort?“
„Da bin ich mir ganz sicher.“
Wieder sagten sie eine ganze Weile lang nichts. Zu zweit geht es wirklich schneller, dachte Fennah. Und dann: Vielleicht ist es dort ja wirklich interessant. Eine Menge ihrer Freunde waren bereits aus Halgar weggezogen.
„Meinst du, mir würde es dort auch gefallen?“ fragte sie schließlich.
Quiona zwinkerte ihr zu – ein seltenes Ereignis. „An deiner Stelle“, sagte sie, „würde ich es ausprobieren.“
„Aber ich kann doch nicht ohne die anderen weggehen.“
„Nun, dann musst du sie eben fragen.“

Saria atmete ein paar Mal durch, ehe sie an die Haustür klopfte. Dann stand Fennah vor ihr.
„Komm herein“, sagte sie seltsam abwesend und setzte sich auf ihr Bett.
„Wie geht es dir?“ fragte Saria und runzelte dann die Stirn. „Du siehst nachdenklich aus.“
Und das stimmte; Fennah wirkte, als wäre sie in Gedanken an einem ganz anderen Ort.
„Ja…das mag sein.“ Fennah fuhr sich mit der Hand durchs Haar.
„Du hast auch nicht aufgeräumt“, stellte Saria verwundert fest.
„Das hat auch einen Grund“, gab Fennah zu.
„So? Welchen denn?“
„Nun…“ begann Fennah zögernd, „ich habe vorhin mit Quiona gesprochen…sie wird wegziehen.“
Achtung, dachte Saria und versuchte ihre Überraschung zu verbergen. Gespräche mit Quiona sind immer ein heikles Thema. Sag jetzt nichts Falsches. „Und?“ fragte sie beiläufig.
„Ich überlege tatsächlich, ob ich mich nicht auch in Telon umschauen sollte“, platzte Fennah heraus und lachte nervös. „Ist das nicht verrückt?“
Nun hatte Saria mit einer wütenden Erleichterung in ihrem Inneren zu kämpfen. Ja, es ist verrückt! Wollte sie rufen. Es ist verrückt, denn in Zukunft werde ich alle ernsten Gespräche Quiona überlassen. Schließlich hat sie mir damals auch…
„Was sagst du dazu?“ unterbrach Fennah ihre Gedanken.
„Ich sage dazu, dass Quiona sich richtig entschieden hat“, sagte Saria und stellte überrascht fest, dass es die Wahrheit war. Sie empfand dies doch ebenso, oder nicht? Ein Gedanke, wie ein Windhauch, strich an ihrem Herzen vorbei und ließ es zusammenkrampfen. Die Arbeit. Ihre Erinnerungen. Ihre Heimat…nun, es konnte nur besser werden. Sie zwang sich zur Ruhe und atmete, wie es ihr schien, den letzten Lufthauch von Carroll Island bewusst ein.
„Ihr anderen geht auch“, sagte Fennah unvermittelt.
„Ich denke, du willst auch gehen“, entgegnete Saria.
„Ja, das will ich.“ Es klang zuversichtlich.
Was, fragte sich Saria, hat Quiona bloß mit ihr gemacht, dass sie nicht in Tränen ausbricht? Ich wüsste es so gern.
„Würdest du mir beim Packen helfen?“ fragte Fennah.
„Ja, natürlich.“

Stillschweigend saßen Saria, Quiona, Shyari, Feanna und Fennah in ihrem Haus nebeneinander.
„Meint ihr, wir finden einen Platz?“ brach Shyari schließlich das Schweigen. „Die Kleinen waren noch nicht so oft hier, ich meine-„
„Ach, sei doch ruhig“ unterbrach Feanna sie. „Erst einmal sollten wir dafür sorgen, dass wir überhaupt nach Telon dürfen. Wir haben keine Wahl. Also bitte komm mir nicht wieder mit deinen nostalgischen Anwandlungen.“
Trotz ihrer Zweifel musste Shyari ihr Recht geben. „Na gut“, meinte sie, „dann ist es wohl an der Zeit, sich darum zu kümmern.“
Sie rechnete nicht mit den Schwierigkeiten, die ihre Freunde bald haben würden.

„Was sagst du da?“ Feanna starrte ihre Halbschwester entsetzt an. „Wie meinst du das, es könnte sehr gefährlich werden?“
Saria rollte einen ihrer Teppiche zusammen und verstaute ihn in einer geräumigen Truhe. „Nun, ich habe es dir doch schon erzählt“, meinte sie ungeduldig und setzte sich auf den letzten verbliebenen Stuhl. Sie hatte vor, alle Einrichtungsgegenstände mit nach Telon zu nehmen. „Du weißt, dass Spiele mit Zeit und Raum nie ganz gefahrlos sind. Wir gehen an einen Ort, der diesem hier nachgebildet ist. Niemand weiß, wie man dort hinkommt und ob die Reise gut geht. Es ist eine Art Teleport, habe ich gehört.“
Feanna runzelte die Stirn. „Ich dachte, wir fahren mit dem Schiff? Wie sollen wir denn teleportieren; mit deinem Teleport kommen wir nicht weit.“
Saria verdrehte die Augen. „Feanna, du weißt ganz genau, dass wir nicht alles über unsere Welt wissen. Woher sie kommt, was außerhalb von ihr geschieht…ich meine damit, dass wir teleportiert werden.“
„Und von wem?“ hakte Feanna nach.
Saria seufzte. „Ich kenne mich mit meiner eigenen Magie aus, aber nicht mit der dieser gesamten Welt“, antwortete sie. „Hast du dich nie gewundert, was mit dir passiert, wenn du schläfst? Du wanderst in einer andere Welt über. Du bist nicht diejenige, die im Bett liegt, sondern jemand, der vielleicht ganze Welten erkundet. Manchmal bist du nicht mal du selbst.“
Feanna sah sie fragend an. „Ich verstehe nicht, worauf du hinaus willst“, meinte sie.
Saria dachte nach. „Es gibt Dinge, die man nicht erklären kann“, fuhr sie dann zögernd fort, „doch sie sind real. Du weißt, dass uns in dieser Welt viele Türen verschlossen blieben, die wir selbst mit unserer Magie nicht öffnen konnten. Und selbst dann nicht, wenn wir alle dafür erforderlichen Aufgaben erledigt haben.“
„Oh ja“, seufzte Feanna, „das weiß ich sehr gut. Wie oft mussten wir um Hilfe bitten…“
„Genau“, bestätigte Saria, „und diese Hilfe bekamen wir von wem?“
„Ich weiß es nicht, du schreibst doch immer die Briefe.“
„Und selbst ich weiß nicht, von wem sie gelesen werden.“ Saria blickte ihre Schwester vielsagend an.
„Von irgendeinem mächtigen Magier, dachte ich“, meinte Feanna, schien jedoch selbst daran zu zweifeln.
„Rede nicht so abfällig über sie“, mahnte Saria. „Auch wenn es keine Magier sind, die uns helfen. Ich glaube nicht einmal, dass sie auf unserer Welt sind. Oder zumindest nicht immer.“
Feanna starrte sie verblüfft an. „Du meinst, auf unserem Kontinent.“
„Nein, ich meine unsere Welt. Ganz Telon, ob mit Halgar oder ohne. Sogar Telara wird von ihnen beherrscht. Sie sind…außerhalb.“
„Aber wenn sie außerhalb sind, wie du sagst, wie können sie dann Kontakt zu uns aufnehmen?“ Feanna schüttelte stirnrunzelnd den Kopf. „Du redest, als wären es Götter. Nein, das musst du falsch sehen.“
Saria hob ratlos die Schultern. „Vielleicht haben sie uns sogar erschaffen. Aber vielleicht auch nicht. Ich denke eher, es sind Zwischenwesen, die zwischen den Welten wandern können. Ich fühle mich jedenfalls manchmal beobachtet. Und selbst Shyari hatte schon Kontakt mit einem solchen Wesen. Sie haben Titel, aber ich weiß nicht, was sie bedeuten. Natürlich könnte die allgemeine Abkürzung des Titels auch ‚Großer Magier’ bedeuten. Aber ich stelle keine Fragen. Wenn sie da sind, stellen sie die Fragen und oft reden sie gar nicht. Aber wie ich bereits sagte, mehr weiß ich nicht darüber und ich bin mir nicht sicher, ob ich mehr darüber wissen will.“
Feanna starrte nachdenklich ins Leere. „Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll“, meinte sie schließlich. „Das Ganze erscheint mir ein wenig unheimlich.“
Es folgte ein Augenblick des Schweigens, dann fuhr sie fort: „Du sagtest, die Reise wäre gefährlich. Nach all dem, was du mir gerade erzählt hast, frage ich mich, warum.“
Saria schaute sie mit einem so ernsten Gesichtsausdruck an, dass Feanna beinahe zurückgewichen wäre.
„Nun, es wird gesagt, dass selbst die Helfer – nennen wir sie vorerst so – nicht unfehlbar sind. Es ist eine schwierige Reise, bei der selbst sie uns kein gutes Ankommen garantieren können. Es…es heißt, dass einige Reisende kurzzeitig vergaßen, wer sie waren.“ Sie legte eine bedeutungsvolle Pause ein. Als Feanna sie nur anstarrte, ohne etwas zu sagen, fuhr sie fort: „Zumindest habe ich das gehört. Manche überstehen es gut, andere müssen sich an die Helfer wenden, um ihre…nun ja, ihre Identität wieder erkennen zu können. Ich hoffe natürlich, dass uns das nicht passiert.“ Nun schaute sie besorgt drein.
Feanna brummte etwas vor sich hin.
„Was hast du eben gesagt?“ wollte Saria wissen.
„Ich sagte, dass wir es darauf ankommen lassen müssen“, antwortete Feanna. „Uns bleibt keine andere Wahl.“
Saria nickte bang und dachte an Kyron.

„Ich tue es“, sagte Shyari und baute sich vor den anderen auf. „Ich werde zuerst gehen. Ich schreibe einfach einen Brief und schon…“
„Nein“, unterbrach Saria sie, „das geht unter keinen Umständen.“
Alle sahen sie erstaunt an.
„Aber warum nicht?“ wollte Shyari wissen. „Du könntest daran zerbrechen.“ Sie senkte den Kopf. „Verzeih mir, ich wollte das nicht sagen.“
Saria zwang sich, ihr in die Augen zu schauen. „Ich weiß, was du meinst“, sagte sie. „Ich habe etwas zu verlieren. Aber ich bin es leid. Ich bin es einfach leid.“
Und zum Erstaunen aller stand sie auf und teleportierte vor ihren Augen weg.
„Was ist denn bloß los mit ihr?“ wollte Jovana wissen.
„Sie denkt, dass sie vielleicht etwas gewinnen kann“, sagte Fennah nachdenklich.
Feanna verdrehte die Augen. „Was sie nicht alles denkt.“
„Ich wusste nicht, dass du so pessimistisch bist“, meinte Shyari und warf einen losen Stein weit hinaus in das rauschende Meer. „Ich denke, Saria hat Recht.“
„Ich und pessimistisch?“ empörte sich Feanna, „ich war noch nie…“
„Feanna, tu doch nicht immer so, als wüsstest du nicht, was jemand meint“, unterbrach Shyari sie und sah sie an. „Warum sollte sie nicht kämpfen? Wenn sie zuletzt geht, steht ihr dasselbe bevor, wie jetzt auch. Warum sollte sie dann nicht wenigstens daran glauben, was sie tut?“
Feanna erwiderte nichts darauf. „Verdammt“, sagte sie schließlich und stand auf. „Ich denke, ich schaue noch nach, was ich mitnehmen kann. Bis später.“ Damit ging sie davon.
Shyari sah in die Runde. „An eurer Stelle“, meinte sie, „würde ich das gleiche tun.“ Sie rannte in die Richtung, in die Feanna gelaufen war.
„Die beiden“, meinte Quiona schmunzelnd.
„Aber was ist denn los?“ wiederholte Jovana.
Quiona schaute sie an; ihr Blick war unergründlich. „Mit Kindern rede ich nicht“, sagte sie dann.
„Soll ich dir helfen?“ fragte Feanna, als sie ihre Halbschwester über dem Papier gebeugt sah. „Ich weiß, du traust es mir nicht zu, aber ich könnte…“
„Lass mich“, fuhr Saria sie gereizt an, „ich schreibe nicht zum ersten Mal einen Brief.“
„Schon gut.“ Feanna setzte sich auf den Boden; alle Möbel waren bereits für den Transport verpackt.
Saria beobachtete sie eine Weile. „Es tut mir leid“, meinte sie schließlich, „ich wollte nicht grob zu dir sein.“
„Ja, das weiß ich.“ Feanna stand auf. „Ich weiß einiges, aber…ich hatte nie so eine schreckliche Angst.“ Sie rannte aus dem Haus und schlug die Tür hinter sich zu. Saria blickte ihr betroffen nach. Dann unterdrückte sie die Tränen und schrieb weiter.

Saria untersuchte den Briefkasten. Sie fühlte, dass etwas darin lag, wagte es jedoch nicht, es herauszunehmen. Na kommt schon, dachte sie, es ist doch nur ein Schritt.
Sie trug den Brief in ihr leeres Haus, um ihn zu lesen. Als sie damit fertig war, waren ihre Augen vor Schreck geweitet. „Ich weiß es nun“, sagte sie leise zu sich selbst.
„Ich auch.“
Saria erschrak so sehr, dass sie beinahe das Gleichgewicht verloren hätte. „Shyari, was machst du denn hier? Und wie bist du unbemerkt hineingekommen?“
Shyari schaute sie ernst an. „Du weißt doch, wie gut Feanna und ich befreundet sind. Natürlich habe ich mich ausgiebig nach dem Vorgang, oder wie du es nennen willst, erkundigt. Wir werden dieselben Pesonen sein…aber unsere Identität wird sich möglicherweise ändern. So viel weiß ich auch“, sagte sie, während Saria sie neugierig beobachtete. „Aber“, fuhr Shyari fort, „Diese Welt hat sorgsame Götter. Falls es welche sind. Es könnte sein, dass die Namen aller, die jemals auf Telon waren, für immer bestehen bleiben, selbst wenn sie schon längst nicht mehr unter uns weilen. Wir müssen möglicherweise um Erlaubnis fragen, um unsere eigenen Namen weiterhin tragen zu können. Wird es uns gewährt, so haben wir Glück. Doch es könnte sein, dass wir nie wieder zu uns finden. Das heißt…“
„Wir verlieren unser Bewusstsein“, schloss Saria, „unsere Identität. Ich weiß.“
Shyari legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Aber es wird gut für uns ausgehen. Glaub mir das.“
Saria schaute sie zweifelnd an. Shyari wusste nicht, was sonst noch in dem Brief stand. Sie wusste nicht, dass sie alle zur selben Zeit teleportiert würden und sich nicht gegenseitig helfen konnten.

„So“, verkündete Fennah munter, „ich wäre bereit für unsere Reise.“ Sie zwinkerte Quiona, die neben ihr stand, zu.
„Du wirkst ziemlich zuversichtlich“, meinte Quiona.
„Das bin ich auch. Uns erwarten aufregende Zeiten.“
„Vielleicht aufregender, als du denkst.“
Fennah sah sie verständnislos an.
Dann geschah es.

„Quiona?“ schrie Fennah ängstlich. „Quiona!“
„Ich bin ja hier.“ Quiona legte ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter.
„Was war das?“ Fennah fing an zu weinen. „Einen Moment lang dachte ich, ich wäre tot.“
Vielleicht waren wir das auch einen Moment lang, dachte Quiona, sagte es aber nicht. Vielleicht sind wir nun etwas anderes. Doch trotz dieser Gedanken konnte sie keine Veränderung an sich feststellen.
„Kleines“, sagte sie, „ich glaube, wir sind angekommen. Wir haben es geschafft.“
„Meinst du?“ Fennah blickte sich verunsichert um. Dann weiteten sich ihre Augen. „Sieh doch, all die fremden Menschen…“
„Ja“, sagte Quiona, „wir sind tatsächlich angekommen.“ Sie durchsuchte mit ihren Augen die Umgebung. Sie standen in Khal, so viel stand fest – doch sie konnte keinen ihrer Freunde entdecken. Es war wohl doch so, wie es in Sarias Brief gestanden hatte. Quiona hatte ihn heimlich in deren Haus gelesen.
„Und wo sind die anderen?“ wollte Fennah ängstlich wissen. Ihre Unsicherheit, dachte Quiona, beginnt, meine Nerven zu strapazieren. Sie machte sich seufzend mit Fennah auf die Suche. Wo, fragte sie sich, waren sie zuletzt in Halgar gewesen? Sie beschloss, es zunächst in den Sümpfen von Thestra zu versuchen. „Komm“, sagte sie und zog Fennah unsanft mit sich.

„Ich wünschte, wir hätten mehr Platz“, sagte sie, als sie inmitten einer Menge auf den Shores of Darkness standen. „Man sieht ja überhaupt niemanden hier.“
„Ja“, stimmte Fennah zu, während ihr Herz voller Unruhe war. Sie hatte Quiona folgen wollen, doch fehlte ihr die Anwesenheit ihrer anderen Freunde. Sie beobachtete Quiona stumm und sorgenvoll. Deren eisblaue Augen schauten sich mit einer kühlen Gelassenheit um, ihr gesamtes Gesicht war ausdruckslos; es zeigte höchstens ein vages Interesse am Geschehen. Noch dazu war sie eine Dunkelelfe. Wie sollte sie ihr tatsächlich vertrauen? Wieso war sie nicht bei den anderen geblieben?
„Wir werden es wohl länger miteinander aushalten müssen“, sagte Quiona, als hätte sie ihre Gedanken gelesen. „Und vergiss nicht, ich bin ebenfalls eine Heilerin.“
Fennah verstand ihre Andeutung nicht, doch Quiona wusste genauestens über ihre eigenen Gefühle Bescheid. Zum einen war da ihre lästige Begleitung, die sie kaum noch auszuhalten vermochte und die zu allem Übel in einem Getümmel aus Elfen, Gnomen und Menschen neben ihr stand. Die andere Empfindung vermochte sie jedoch nicht recht einzuordnen, doch sie hatte oft davon gehört. Es schien so etwas wie Besorgnis zu sein. Nein, berichtigte sie sich in Gedanken. Es war Sehnsucht.

Shyari fühlte sich, als wäre sie soeben erst geboren worden.
Was war mit ihr passiert? Sie saß auf dem Boden und rieb sich die Augen, als hätte sie geschlafen. Wo war sie? Sie blickte sich um. Nichts schien sich verändert zu haben.
„Du bist einfach eingeschlafen.“ Sie schüttelte fassungslos den Kopf. „Du bist tatsächlich mitten in Khal – „ Das lautstarke Gemurmel ließ sie verstummen. Mit großen Augen beobachtete sie die Menschenmenge, die sich nahe des Bindsteins unterhielten. Dann begriff sie.
„Du bist drüben“, murmelte sie. Und dann, lauter: „Du bist da!“
Ein Hochelf schaute sie befremdet an, doch sie bemerkte es gar nicht.
Als nächstes prüfte Shyari ihr Inventar. Alles schien sicher angekommen zu sein. Langsam rappelte sie sich vom Boden auf. Ein fremder Qalithari lächelte sie an und sie lächelte zurück. Ihn schien es nicht zu verwundern, dass sie plötzlich scheinbar aus dem Nichts aufgetaucht war.
Sie griff nach ihrem Gepäck und machte sich auf den Weg zu der hiesigen Bank. Es war erstaunlich; nichts schien sich verändert zu haben, obwohl sie doch an einem völlig anderem Ort war. Angesichts der vielen Fremden zweifelte sie keinen Moment daran.
Sie war gerade dabei, ihr Gepäck zwischenzulagern, als sich ein Dunkelelf neben ihr anstellte. Shyari zögerte einen Moment. Dann sagte sie: „Entschuldigung. Ich bin neu hier. Könnt Ihr mir sagen, wie viele Einwohner Carroll Island hat? Ist es möglich, sich dort niederzulassen?“
Der Dunkelelf zog pikiert die Brauen hoch. „Tut mir leid, ich wohne dort nicht.“
Shyari seufzte. „Danke trotzdem.“
Sie dachte, dass sie sich wohl selbst dort umschauen müsste. Am besten gleich. Da tippte ihr jemand an die Schulter. „Hey, bist du´s wirklich?“
Sie drehte sich um und sah Feanna vor sich stehen. Die beiden fielen sich in die Arme. „Der Götter sei Dank“, meinte Feanna, „ich kam mir so verloren vor. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich mich freue, dich zu sehen und dass es dir scheinbar ebenfalls gut geht. Zum Glück war ich auf Halgar auch zuletzt in Khal.“
„Ja“, meinte Shyari, „scheinbar kommt man an dem selben Ort an, von dem man wegging.“ Sie fuhr sich durch die Locken. „Es ist schon verwirrend.“
„Aber wir haben es geschafft“, freute sich Feanna. „Ich kann es gar nicht glauben. Was wirst du jetzt tun?“
Um ein Haar hätte Shyari ihr die Wahrheit gesagt, doch sie beschloss, es vorerst nicht zu tun. „Ach, ich schaue mich ein wenig in der Gegend um“, sagte sie stattdessen. „Es gibt schließlich viel Neues zu entdecken.“
Feanna lachte. „Du warst nie besonders geistreich“, stichelte sie und zwickte Shyari in die Seite.
Shyari schaffte es nicht, ihr auszuweichen. „Besten Dank. Und was hast du vor?“
Feanna blickte sich leicht besorgt um. „Ich werde nach Saria suchen“, antwortete sie. „Hier scheint sie jedenfalls nicht zu sein.“
„Nein“, stimmte Shyari zu. „Dann wünsche ich dir viel Glück dabei.“ Und nun geh endlich, fügte sie in Gedanken hinzu. Dies tat Feanna, nachdem sie ihr noch einmal zuwinkte. „Wir sehen uns dann später.“
Shyari nickte lächelnd.

In Celestine Ward borgte sie sich einen Greifen, um den weiten Weg nach Carroll Island anzutreten. Sie wusste, dass das Sechste Haus auf der Isle of Mann bereits ein neues Zuhause gefunden hatte. Die ehemals verbündete Gilde, der sie inzwischen längst angehörte, hatte ihr angeboten, sich ebenfalls dort niederzulassen. Shyari hatte sich die Insel bereits angeschaut, bevor sie sich auf den Weg nach Thestra gemacht hatte und musste sich eingestehen, dass er ihr sehr gefiel. Doch irgendetwas in ihrem Inneren zwang sie dazu, sich trotzdem auf ihrer alten, vertrauten Insel umzusehen. Vermutlich war ihr ehemaliges Grundstück schon längst besetzt, doch sie wollte sich selbst davon überzeugen.
Die Stunden vergingen und bei Anbruch der Dunkelheit beschloss Shyari, eine Rast einzulegen. Sie würde ohnehin bei Tagesanbruch mit dem Schiff weiterreisen müssen.
Die Sümpfe von Thestra erschienen ihr kein geeigneter Schlafplatz, doch ihr würde nichts anderes übrig bleiben. Das Dorf, welches in dieser Gegend lag, hatte sie schon längst hinter sich gelassen und es widerstrebte ihr ohnehin, an fremden Häusern anzuklopfen und um Einlass zu bitten.
Sie fand einen trockenen Platz unter einem verdorrten Baum. Die Sonne war mittlerweile untergegangen und sie konnte kaum die Hand vor ihren Augen sehen. Überall zirpte und quakte es geheimnisvoll. Shyari tastete den Boden vor sich ab und überlegte kurz. Dann zog sie die Decke, die sie für ihre Reise mitgenommen hat, aus einem Beutel und breitete sie darüber aus. Es würde nicht gemütlich werden, aber schließlich gehörte es zu ihrer Berufung, sich unangenehmen Situationen zu stellen. Wenigstens regnet es nicht, dachte sie in einem Anflug von Zynismus.
Der riesige Greif neben ihr begann unruhig mit den Flügeln zu schlagen.
„Ich weiß, du musst nun nach Hause fliegen“, sagte sie zu ihm und strich ihm über den Hals. „Danke, dass du mich soweit gebracht hast.“
Er schien zu nicken; dann breitete er seine gewaltigen Schwingen aus und erhob sich in die Luft. Einen Moment später war er davongeflogen.
Nun bin ich ganz allein, dachte Shyari. Sie versuchte, nicht an die bösartigen Kreaturen zu denken, die ihr womöglich auflauern könnten. Nun, dieser Ort hier schien ihr sicher genug zu sein. Und wenn nicht, überlegte sie weiter, habe ich immer noch meinen magischen Hund.
Sie legte sich vorsichtig auf die Decke, rollte das obere Ende zu einem Kissen zusammen und schloß die Augen.
Im Traum ging sie über die weite Graslandschaft von Carroll Island. Überall standen Häuser und deren Einwohner baten sie, ins Haus zu kommen. Doch Shyari wollte nicht. Sie blickte zum Hügel, auf dem Haldirs Haus gestanden hatte, die ehemalige Zuflucht für alle des Sechsten Hauses, die auf dieser Insel lebten. Ein riesiges, neues Haus prangte dort, das nicht seines sein konnte. In Shyaris Magen breitete sich ein seltsames Gefühl aus. Sie schloss die Augen. Sie musste es einfach tun, bevor sie sich umdrehen und zu ihrem eigenen Grundstück reiten würde.
Sie schwang sich auf ihr Reittier – dem riesigen, magischen Hund – und ritt bang in diese Richtung.
Es stand ein Haus dort. Sein Bewohner kam hinaus und winkte sich zu sich. Widerwillig ritt sie auf ihn zu.
„Es ist also zu spät“, sagte sie, als sie vor ihm stand.
„Meine Liebe“, sagte er – ein uralter Mann, der nicht in diese Gegend passen wollte und dessen Herkunft sie nicht bestimmen konnte -, „wie kommst du denn darauf? Ich heiße dich gern in meinem Haus willkommen.“
„Ja, aber es ist Euer Haus“, erwiderte Shyari missmutig. „Es ist nicht unseres.“ Sie senkte den Kopf.
„Nun, komm am Morgen hierher. Du wirst schon sehen.“ Er nickte ihr zu und schlurfte langsam zur Eingangstür. Dort drehte er sich noch einmal um. „Vergiss nicht, an dein Herz zu denken.“
Als er hineinging, bemerkte Shyari, dass das Haus nicht möbliert war. Dann wurde die Tür hinter ihm geschlossen.
Nun, alter Mann, dachte sie, ich habe bereits einen Ort, an den ich gehen kann. Die Isle of Mann. Vielleicht wirst du mich dort auch besuchen können.
Sie wendete ihren Hund und ritt davon…

…geradewegs in die aufgehende Sonne, die sie blendete. Shyari schlug die Hände vor die Augen und rieb sie sich anschließend. Die Vögel zwitscherten um sie herum, während sie versuchte, sich an das Licht zu gewöhnen. Wie lang hatte sie geschlafen? Sie blickte an sich hinunter und stellte fest, dass sie die gesamte Decke zwischen ihre Knie gerollt hatte, als würde sie darauf reiten. „Oh Gott“, murmelte sie und rieb sich die Arme, die sich steif und erfroren anfühlten. Sie blickte misstrauisch hoch und erkannte den Baum, unter den sie sich gelegt hatte. Erleichterung erfasste sie. „Ich bin also nicht mondsüchtig. Aber was für ein Traum.“
Verschlafen verstaute sie die Decke wieder in ihren Beutel. Sie hatte noch ein gutes Stück zu reiten und danach ein Schiff zu steuern. Sie musste sich beeilen.
Sie rief ihren Hund herbei und machte sich auf den Weg zum Meer. Dem weiten Meer, das ihr vorerst die Sicht auf ihr geliebtes Grundstück verwehren würde.

Feanna versuchte es zunächst in Tanvu. Vielleicht würde sie hier Saria finden; diese kam oft hierher, um ihrer Arbeit als Schneider nachzugehen.
Doch sie konnte ihre Schwester nirgends entdecken.
Verwirrt beschloss sie, in der hiesigen Bank nachzufragen. Womöglich hatte Saria hier ihre Sachen abgelegt.
„Seid gegrüßt“, sagte sie. „Ihr wisst nicht zufällig, ob eine gewisse Saria Arvyn hier vorbeigekommen ist?“
Der Schatzhüter legte nachdenklich die Stirn in Falten. „Saria…Saria. Nein, das sagt mir nichts…aber Halt! Heute früh ist eine Siara bei uns eingezogen. Ihr meint nicht zufällig diese?“
„Nein, ich suche eine Saria…aber was meint Ihr mit `eingezogen`?“
„Nun, sie wirkte seltsam verloren. Sie betrat die Bank und fragte, ob ich sie erkennen würde. Als ich verneinte und wissen wollte, wer sie denn sei, antwortete sie, sie wüsste es nicht genau, aber möglicherweise würde ihr Name Siara sein. Es war sehr merkwürdig.“
Feanna stockte der Atem. Litt ihre Schwester unter dem Fluch der Reise? Wie lange würde er dauern? Würde sie jemals davon befreit werden? Und war sie es überhaupt?
„Wo ist sie?“ fragte sie bang.
„Gleich hinter dieser Tür hier“, antwortete der Schatzhüter misstrauisch. „Aber Ihr könnt nicht…he!“
Feanna war bereits in den Raum gestürmt.
Saria saß in einer Ecke und starrte ins Leere. Feanna trat zu ihr und legte eine Hand unter ihr Kinn. „Saria“, stammelte sie.
Saria blickte auf. Ihr Blick war umwölkt und schien sie nicht wahrzunehmen. „Wer…wer bist du?“ fragte sie so leise, dass Feanna sie kaum verstehen konnte. „Und…wieso nennst du mich Saria?“
„Du erkennst mich nicht?“ Feanna war bestürzt. „Erkennst du mich wirklich nicht? Ich bin deine Schwester, Saria. Feanna. Und es ist wahr, du heißt Saria.“
„Aber ich fühle mich nicht so“, entgegnete Saria gequält. „Ich weiß überhaupt nichts über mich. Ich weiß nicht, was ich tun soll.“ Sie barg das Gesicht in ihren Händen.
Ich auch nicht, dachte Feanna. Ja – was sollte sie nun nun? Sie war verzweifelt.
„Ist sie es?“ fragte der Schatzhüter hinter ihr.
Feanna seufzte. „Ja, sie ist es.“
„Oh.“
„Ich weiß nicht, wer ich bin!“ rief Saria aus.
„Das wissen wir bereits“, murrte Feanna. „Wir müssen das schnellstens ändern.“
„Ist sie…gereist?“ erkundigte sich der Schatzhüter vorsichtig.
„Ja. Sie ist heute erst angekommen.“
Er schaute sie mitleidig an. „Nun, dann wird es schwierig. Sie wird einen Helfer zu Rate ziehen müssen. Aber es wird lange dauern, bis sie ihre Freunde wieder vollständig akzeptieren kann. Ich kenne solche Fälle“, erklärte er.
Feanna, verärgert darüber, dass er Saria einen Fall nannte, nahm ihre Schwester an die Hand. „Sie wird nun mit mir kommen“, sagte sie entschlossen. „Ich werde ihre Erinnerung ganz sicher wieder auffrischen.“
Der Schatzhüter zuckte mit den Schultern „Wie Ihr meint.“
Insgeheim war er froh, diese seltsame Halbelfe und ihre wild blickende Begleitung loszuwerden.
Feanna musste nun schnellstens eine Unterkunft für sie beide finden. Und sie musste dringend einen Brief schreiben.

„Was tun wir denn nun? Hier sind sie auch nicht“, rief Fennah nervös.
Sie standen in Celestine Ward; an derselben Stelle, an der Shyari am Tag zuvor gestanden hatte.
Quiona atmete ein paar Mal tief durch und schloss dabei die Augen.
Fennah musterte sie besorgt; obwohl Quiona die Augen geschlossen hatte, verlor sie dadurch nichts von ihrer bedrohlichen Erscheinung. Ihr Gesicht schien wie gemeißelt und poliert; die feinen Nasenflügel bebten. Dann öffnete sie ihr Augen wieder und Fennah wich vor dem Ausdruck in ihnen zurück.
„Jetzt hör mir mal gut zu“, brachte Quiona zähneknirschend hervor, „bitte…“ Sie ballte ihre Hände zu Fäusten. „Du wirst jetzt für ein paar Stunden – oder nein, bis wir die anderen gefunden haben – den Mund halten. Im Moment wünschte ich, du würdest es für den Rest deines Lebens tun. Den ganzen Tag jammerst du. Ich kann es nicht mehr hören. Ich ertrage dich nicht mehr.“
Sie stieß langsam die Luft aus und sah plötzlich ganz verändert aus. Ihre Augen blickten so ruhig und ausdruckslos wie immer. „Hast du mich verstanden?“
Fennah starrte sie entsetzt an und nickte zaghaft. Sie öffnete den Mund, schloss ihn jedoch wieder. Ein Gefühl sagte ihr, dass vielleicht ihr eigenes Herz in Quionas Beutel landen würde, wenn sie sich anders entschied.
Quiona schien jedoch die Beherrschung wieder erlangt zu haben. „Wenn ich dich etwas frage“, sagte sie, „Darfst du ruhig reden. Wir machen uns jetzt auf den Weg nach Carroll Island.“ Somit machte sie sich auf den Weg zum Greifenhändler. Fennah war wütend ob dieser Behandlung, hielt aber wohlweislich den Mund, während sie ihr folgte.
„Aber sieh mal“, sagte Quiona, während sie sich auf einen Greifen schwang, „nimm es nicht tragisch. Du wirst auf meiner Galleone mitfahren dürfen.“ Sie verzog das Gesicht zu etwas, was ein versöhnliches Lächeln darstellen sollte. Es war hübsch, doch für Fennah sah es Furcht erregend aus. Dennoch lächelte sie zurück.

Als Feanna gerade ihren Brief verfasste und Saria währenddessen mit stumpfem Gesichtsausdruck neben ihr saß, war Shyari am Strand von Thestra angekommen. Sie entließ ihren Hund und setzte sich einen Moment hin. Hunger plagte sie und sie durchwühlte ihren Beutel nach etwas Essbaren. Sie fand gekochte Eier und etwas Brot. Schweigend verzehrte sie einen Teil davon, während ihre grünen Augen über das Meer schauten und dessen Licht reflektierten. In diesem Licht wirkte sie merkwürdig anrührend, während es in ihrem Inneren rumorte. Sie bemühte sich, nicht an ihre Freunde zu denken, deren Beistand sie in diesem Moment gut hätte gebrauchen können. Während die Sonne hoch an den Himmel stieg, schien ihr Herz ebenfalls zu steigen und sie mit einem Gefühl zu überwältigen, das gleichzeitig die Seele senkte. Es war Sehnsucht. Sie wischte sich mit einer Hand über die Augen, obwohl niemand sie sehen konnte und stellte fest, dass sie trocken waren. Sie beendete ihre Mahlzeit und begann, ihr Schiff aufzubauen. Sarias Mutter hatte es eines Tages vom Sechsten Haus zu ihrem Geburtstag bekommen und es Shyari überlassen.
Als das Schiff langsam auf dem Meer wiegte, erfasste sie eine Mischung aus Vorfreude und Furcht. Sie war lange nicht damit gefahren; sie hoffte, dass alles gut gehen würde. Vor allem jedoch dachte sie darüber nach, was sie am Ende dieser zweiten Reise erwarten könnte.
Vorsichtig lenkte sie das Schiff in Richtung Süden. Sie musste an den alten Mann aus ihrem Traum denken. Er war so real gewesen…ob sie ihn tatsächlich auf Carroll Island antreffen würde? Am meisten dachte sie jedoch an sein Haus. Sein leeres Haus. Seltsam, so zu leben. Aber wahrscheinlich gab es ihn gar nicht. Schließlich war es nur ein Traum, ermahnte sie sich in Gedanken. Dennoch konnte sie ihn nicht verdrängen.
Sie trieb stundenlang auf der See und unterdrückte die aufkommende Müdigkeit. Allein der schemenhafte Umriss, den sie, als die Sonne schon bedeutend tiefer stand, von Carroll Island sah, verlieh ihr neue Kraft.
In der Dämmerung erreichte sie die Insel und eine eiskalte Hand umklammerte ihr Herz. Sie versuchte, ihr Schiff an den Strand zu lenken, doch es prallte gegen einen Felsen und stieß sie fast von Bord. „Verdammt“, murmelte sie – es war das erste Wort, das sie seit dem Aufwachen gesprochen hatte und es tat ihr weh, dieses bei der Ankunft auf ihrer Insel zu sagen. Doch vielleicht war es gar nicht mehr ihre Insel.
Sie schaffte es irgendwie, den Anker auszuwerfen und sprang von Bord. Wo sie eine Sandbank vermutet hatte, tauchte sie bis zur Nase unter und prustete und schnaubte entrüstet.
Dann schleppte sie sich an Land und versuchte, ihren Gleichgewichtssinn zu kontrollieren. Es erschien ihr, als würde der Boden unter ihr immer noch schwanken.
Sie schaute sich um.
Die Insel war in ein beinahe überirdisches, goldenes Licht getaucht, das bald tiefrosa werden würde. Die Bäume wogten sachten im Wind und gaben das Licht wieder. Wehmütig blickte sie zu der alten Mühle, wo Saria oft gearbeitet hatte, und zu der kleinen Siedlung, an dessen Hügel Quiona oft gesessen hatte, um den Sonnenuntergang zu beobachten. Dann fasste sie sich ein Herz und ging zu Haldirs ehemaligem Grundstück hinauf. Wie in ihrem Traum.
Es stand kein Haus dort. Sie starrte atemlos auf die leere Fläche. Vielleicht…nein, sie wollte sich keine Hoffnungen machen. Wie in ihrem Traum drehte sie sich langsam um und ging der sinkenden Sonne, ihrem geliebten Platz entgegen. Bestimmt würde ihr bald ein uralter Mann die Tür öffnen und sie zu sich in ein leeres Haus hineinwinken. Doch sie sah kein Haus.
Sie runzelte die Stirn. Dort standen überhaupt keine Häuser; hatte sie sich in der Richtung geirrt? Sie ging weiter und wusste, dass kein Zweifel bestehen konnte. Es war ihr Platz.
Die Stunden ungeweinter Tränen, all die Starre, die sie umklammert hatte, ballten sich in ihrem Herzen und ließen ihrer Seele endlich freien lauf. Sie begann zu weinen.
Sie setzte sich auf das leere Grundstück, schlug die Hände vor das Gesicht und schluchzte hemmungslos. Nie hätte sie sich vorstellen können, wie gut es ihr tun würde. Doch nun wusste sie es. Und sie wusste noch etwas: Sie hatte eine Entscheidung getroffen.

Kummervoll blickte Feanna ihre Schwester an.
Ihr Zustand hielt immer noch an und sie hatte bisher keine Hilfe bekommen.
Auch Kyron hatte sich bisher nicht gemeldet; wo blieb er eigentlich?
Sie erzählte Saria ununterbrochen von ihren vielen Erlebnissen, den Abenteuern, ihrer Arbeit. Doch nach wie vor war selbst ihr eigener Name Saria fremd.
Feanna legte sich erschöpft auf ihr neues Bett. Sie hatte eine Unterkunft in Tanvu gefunden, für die sie nicht viel bezahlen mussten.
Es musste ein Wunder passieren. Sie würde es nicht ertragen können, wenn Saria für den Rest ihres Lebens so blieb. Wie sollte sie sich mit ihrer Schwester neu anfreunden? Sie hatten sich ohnehin nur gut verstanden, weil sie Schwestern waren. Feanna war sich nicht sicher, ob sich das in Zukunft ändern würde. Sie vermisste Saria, obwohl diese neben ihr saß.
Ach, wenn doch endlich…es klopfte an der Tür.
Feanna sprang auf wie vom Blitz getroffen und wäre beinahe in den Mann gerannt, der vor ihr stand.
„Habt Ihr einen Moment Zeit für mich?“ fragte er.
„Äh…ja“, stammelte Feanna, immer noch im Türrahmen stehend. „Warum…“
„Ihr habt um Hilfe gebeten“, unterbrach er sie. „Eine gewisse Saria hat ihr Gedächtnis verloren. Stimmt das?“
„Ja, das stimmt“, sagte Feanna erleichtert und ließ ihn endlich hinein. „Ihre gesamte Identität.“
Er lächelte. „Das werden wir gleich haben. Ich muss Euch jedoch bitten, für eine Weile das Haus zu verlassen. Die Nähe von Vertrauten – selbst denen, die man vergessen hat – können den äußert schwierigen Prozess stören, den ich an ihr vornehmen werde.“
„Natürlich“, beeilte sich Feanna zu sagen, „aber wird ihr auch nichts passieren?“
„Nein“, beruhigte er sie, „eines solltet Ihr jedoch wissen: Sie wird noch eine Weile unter einem befremdlichen Gefühl der Isolation leiden. Doch wenn die Monde günstig stehen, wird sie auch davon geheilt werden. Dies wird in ein paar Tagen geschehen.“
„Nun gut…“ Feanna wusste nicht, was sie sagen sollte. Es war ein Helfer, der vor ihr stand. Ein Zwischenwesen, wie Saria es genannt hatte. Eigentlich sah er ganz normal aus. Dennoch war sie zutiefst beeindruckt. „Dann gehe ich mal“, schloss sie und verließ, nachdem sie ihm einen letzten, misstrauischen Blick zugeworfen hatte, das Haus.
Dann fiel ihr etwas ein. „Wie lange?“ rief sie durch das Fenster.
„Ich sage Euch Bescheid“, rief er zurück. „Oder besser gesagt, sie wird es selbst tun.“
Hoffentlich, dachte Feanna besorgt.
Sie vertrieb sich die Zeit bei Händlern, denen sie die restlichen unnötigen Dinge, die sie aus einem ihr unerfindlichen Grund mitgenommen hatte, verkaufte. Außerdem plauderte sie mit ihnen. Sie musste einfach mit jemandem reden; sie hoffte zutiefst, schon bald auch wieder mit Saria so reden zu können.
Es schien eine Ewigkeit zu sein, in der der Helfer mit Saria beschäftigt war.
Feanna versuchte, nicht daran zu denken und schaute statt dessen nach einem neuen Gürtel für Shyari. Sie fand ihn nicht. Warum, dachte sie, warum muss denn alles schief gehen? Warum kann ich diesen verdammten Gürtel…
„Hallo?“ ertönte eine Stimme hinter ihr.
Sie drehte sich ruckartig um und war nahe daran, in Tränen auszubrechen. Wer störte sie gerade?
„Ich bin es“, sagte der Helfer, der ihre Aufgewühltheit zu bemerken schien. „Ich habe Eurer Schwester geholfen. Ich hoffe, dass nun alles zu Eurer Zufriedenheit ist.“
Feanna hatte Mühe, ihre Emotionen niederzukämpfen, obwohl sie wusste, dass dies eine gute Nachricht war. Sie schluckte einmal hart, dann noch einmal. „Danke“, sagte sie, „ich werde sogleich nach ihr sehen.“
Sie rannte zu ihrer Unterkunft und verlief sich zweimal. Dann wurde unmittelbar vor ihrer Nase eine Tür aufgerissen. „Feanna!“ rief Saria freudestrahlend. „Nun weiß ich, wer du bist. Du meine Güte, ich hätte nicht gedacht…“
Die stürmische Umarmung Feannas riss ihr das Wort ab.
„War es so schlimm?“ fragte Saria erstaunt. „Ich kann mich an nichts erinnern.“
„Ja es war schlimm; du glaubst gar nicht, wie“, antwortete Feanna. Sie fing an zu weinen. Saria nahm sie erstaunt und zutiefst gerührt in ihre Arme. Dies war das erste Mal, dass ihre Schwester in ihrer Anwesenheit hemmungslos weinte. „Nun“, sagte sie, „da ich wieder bei mit bin, sollten wir die anderen suchen gehen.
„Ich dachte, ich hätte dich verloren“, sagte Feanna.
„Das wirst du nie“, entgegnete Saria. „Schließlich bin ich dir doch gefolgt, oder nicht?“
Und zum ersten Mal erstrahlte Feannas Gesicht in einem einnehmenden Lächeln, das Saria noch nie gesehen hatte. „Ja, das bist du“, bestätigte sie, „und nun lass uns die anderen suchen. Am besten auf Carroll Island.“
Sie ergriff Sarias Hand und wollte ihre Schwester mit sich ziehen, doch Saria blieb starr stehen. Feanna schaute sie fragend an.
„Ich kann mich aber noch nicht so recht an das Sechste Haus erinnern“, erklärte Saria zögernd. „Aber der Helfer – es war doch einer? – sagte mir, dass ich das bald könnte. Ist es schlimm?“
„Nein“, sagte Feanna, „es ist überhaupt nicht schlimm. Und nun lass uns gehen.“
Das Lächeln blieb, als sie ihre Schwester weiter voran zog.

Sie hatten beinahe den ganzen Weg zurückgelegt, als Saria plötzlich fragte: „Wo ist Kyron? Was ist mit ihm?“
Feanna tat so, als wäre sie vollkommen in die Steuerung des Schiffes versunken. Was sollte sie Saria antworten?
„Ich weiß nicht, wo Kyron ist“, sagte sie schließlich. „Aber sicher werden es die anderen wissen.“ Sie versuchte, den darauf folgenden Blick von Saria zu ignorieren. Es war wichtiger, dass ihre Schwester wieder bei ihr war.

Das Meer rauschte, als sie sich langsam der Küste näherten.
„Sieh mal“, meinte Feanna, „vor uns liegt Carroll Island.“
Saria schaute beinahe ehrfürchtig auf den schwachen Umriss der Insel. „Ja…“
„Du hast Angst, nicht wahr?“ wandte Feanna sich ihr zu.
Saria ließ die Schultern hängen. „Ja, ich habe Angst. Aber ich habe mehr Angst davor, dass wir Shyari dort nicht antreffen, als dass wir unsere Insel verlieren.“
„Red nicht so einen Unsinn“, winkte Feanna unwirsch ab. „Es wird alles gut werden.“
Saria schaute sie zweifelnd an.

„Nun, dann werden wir uns auf die Suche nach unserem Grundstück machen“, sagte Feanna. Saria folgte ihr, als sie nach Süden stürmte. Sie hatte seit ihrer Unterhaltung auf dem Schiff kein Wort herausbringen können. Plötzlich blieb sie stehen. „Aber…da sind ja überhaupt keine Häuser“, stammelte sie.
„Tatsächlich.“ Feanna blickte ebenso erstaunt drein.
„Aber es ist jemand dort. Vielleicht kommen wir doch zu spät?“
„Du vergisst, dass wir ursprünglich zu unserer Gilde ziehen wollten“, erinnerte Feanna sie, doch irgendetwas zwang sie dazu, Saria zu verstehen. Es ist Heimweh, stellte sie erstaunt fest.
So fühlt sich das also an. „Nun ja“, meinte sie zögernd, „lass uns die Fremden doch begrüßen. Vielleicht können wir mit ihnen verhandeln“
Sie traten zögernd auf die Gestalten zu, die auf ihrem ursprünglichen Grundstück standen. Sarias Herz sank immer tiefer, je näher sie ihrem geliebten Ort kam.
Dann erkannte sie Shyaris Locken.
Shyari drehte sich um.
„Was tust du hier?“ fragte Saria atemlos. „Und wo ist Kyron?“
„Kyron wird bald nachkommen“, erklärte Quiona ruhig. Sie hatte sich unbemerkt mit Fennah zu ihnen gesellt. „Ihm wurde bereits gesagt, dass er uns bald folgen kann.“
Wenn die Monde günstig stehen, vollendete Feanna in Gedanken. Sie musste lächeln und legte Saria einen Arm um den Hals.
„Nun, es ist noch nicht ganz ausgebaut“, stammelte Shyari, „aber ich habe ein Grundstück gekauft. Es ist beinahe dasselbe wie früher, aber ich wusste immer, dass Saria sich eines gewünscht hat, das näher am Meer stand. Und ich habe dafür gesorgt, dass es nicht verfällt“, fügte sie angstvoll hinzu.
„Wirklich?“ Fennah fiel ihr um den Hals, ehe sie es abwehren konnte.
Quiona schaute sie verächtlich an. Wie konnte man nur so unwissend sein? Sie war froh, dass sie Fennah nicht mehr allein ertragen musste. Dennoch verspürte sie den Impuls, die sensible Hochelfin ebenfalls zu umarmen.
„Wieso hast du das getan?“ wollte Feanna wissen.
Saria betrachtete das Grundstück und sagte nichts.
Shyari tat es ihr gleich. Dann drehte sie sich um und schaute zum Strand hinaus.
„Wir können es auch rückgängig machen“, brachte sie schließlich hervor. „Ich habe nur gehandelt; vollendet ist es nicht.“ Sie schaute zweifelnd auf das leere Grundstück.
„Oh doch, das ist es“, sagte Quiona und trat neben sie. „Selbst wenn hier noch kein Haus steht, so ist es doch unsere Heimat. Ihr alle wisst, dass uns unsere Freunde des Sechsten Hauses dabei helfen werden. Und nun, da alles getan ist, sollten wir keinen Gedanken mehr daran verschwenden. Uns stehen noch viele Abenteuer bevor, zumal unsere Gefährtin auf unserem Kontinent bleiben wird.“
Sie legte einen Arm um Shyari und hoffte, dass diese das leise Zwinkern in ihren kalten Augen bemerken würde.

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 Betreff des Beitrags: Re: Kleine Geschichte
BeitragVerfasst: Do 24. Mär 2011, 01:56 
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Ui... lange Geschichte, aber ich hab sie gelesen. :wink2: Also das "GM" "großer Magier" heißt - darauf wär ich nie gekommen. :D

"Sie wird noch eine Weile unter einem befremdlichen Gefühl der Isolation leiden" <-- nicht nur sie litt darunter. :rofl:

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 Betreff des Beitrags: Re: Kleine Geschichte
BeitragVerfasst: Do 24. Mär 2011, 13:51 
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Also Quina, wenn du eins gut kannst, dann ist es - Schreiben. Wieder eine wirklich schöne Geschichte! :winke:

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 Betreff des Beitrags: Re: Kleine Geschichte
BeitragVerfasst: Do 24. Mär 2011, 15:11 
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einfach schön.

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Das Sechste Haus

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 Betreff des Beitrags: Re: Kleine Geschichte
BeitragVerfasst: So 27. Mär 2011, 16:37 
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Morxaine hat geschrieben:
Also Quina, wenn du eins gut kannst, dann ist es - Schreiben.


Ne, nachdem ich mich gezwungen hab, den Krams nochmal zu lesen, seh ich das anders...tausend Fehler...mindestens :P
Aber ich hab ehrlich keinen Nerv, die zu berichtigen...^^

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 Betreff des Beitrags: Re: Kleine Geschichte
BeitragVerfasst: Do 17. Nov 2011, 03:16 
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Ich konnte es ja mal wieder nicht lassen, würde zum "Abschluss" dann aber doch gern mehr Chars einbinden bzw überhaupt mehr "Gilldenflair" einbringen.
Zumindest in geschriebener Form. Ein Video dazu soll ja wohl (wie ich vor Ewigkeiten gehört habe) noch erstellt werden.
Im Grunde wär das ja eine Art "Thriller" geworden, was ich da fabriziert hab, aber am Ende hab ich es doch nur zusammengepackt und gestopft, da es schon so viele Seiten waren und ich auch leider nicht mehr wusste, wer da alles...geholfen hat und auch nicht nur meine Ideen zusammenschreiben wollte.
Ich würd mir wirklich mal eine richtige "Gildengeschichte" wünschen ;P Das wird ja sonst langweilig.

Aber egal, ich fang mal an:
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Die Gräser um Carroll Island wehten im Wind, bewegten sich in der Morgendämmerung und wurden taufeucht, während der Wind unablässig rauschte und das Meer die ersten hohen, schäumenden Wellen zeugte.
Der Himmel schloss sich nach einer Weile dieser Stimmung an und hinderte die Sonne mit Wolken daran, hervorzubrechen.
Möwen flogen kreischend darüber, sich des reichen Fangs bewusst, der von dem wütenden Meer hinaufgeschäumt wurde.

Inmitten dieses Tobens schliefen Feanna und Shyari fest in ihrem Haus auf der Insel.
Saria, Feannas Schwester, die für gewöhnlich ebenfalls dort wohnte, war für eine längere Zeit mit ihrem Verlobten Kyron verreist.
Dies zeigte sich deutlich am Inneren des Hauses, welches sich seit ihrer Abreise in einem nahezu chaotischen Zustand befand. Feanna, der nachlässigeren der beiden Schwestern, war es gleich. Sie genoss die heiteren, ausgelassenen Tage mit ihrer besten Freundin. Nur Shyari räumte hin und wieder auf, um nicht laufend über herumliegende Bücher oder Kleidung zu stolpern und spülte das Geschirr.
„Wenn man dich allein ließe“, hatte sie einmal zu Feanna gesagt, „würdest du dich irgendwann selbst nicht mehr finden.“ Feanna hatte nur gleichgültig gegrinst, woraufhin Shyari geseufzt hatte.
Nun wachte Shyari langsam auf, als der Wind die Tür im Rahmen klappern ließ. Sie setzte sich im Bett auf und rieb sich verschlafen die Augen. Sie verspürte Durst und beschloss, in die Küche zu gehen und das Frühstück vorzubereiten. In dem anderen Bett murmelte Feanna irgend etwas im Schlaf. Es klang wie „Beweise sammeln“.
Shyari konnte sich nicht vorstellen, was Feanna damit meinte, zuckte mit den Achseln und machte sich auf den Weg nach unten.
Sie fand es wunderbar, dass sie nun ein größeres Haus hatten. So konnten sie bequem zu dritt leben und sogar Freunde übernachten lassen, ohne dass es eng wurde.
Fennah, eine weitere Halbschwester Sarias, kam immer noch oft hierher. Sie war im Frühling mit Quiona, einer launischen Dunkelelfe, zusammengezogen und schien es nicht zu bereuen. Shyari schüttelte den Kopf, als sie über diese merkwürdige Beziehung nachdachte, während sie Milch zum Kochen auf den Herd stellte. Am erstaunlichsten war daran, dass darin niemand über den anderen dominierte. Nicht mehr, verbesserte Shyari sich in Gedanken. Am Anfang ihrer Freundschaft war Quiona Fennah gegenüber noch sehr barsch und herablassend gewesen. Hoffentlich wird Fennah nicht genauso, dachte Shyari weiter, als sie langsame Schritte auf der Treppe hörte. Sie blickte auf und sah Feanna im Kücheneingang stehen. „Guten Morgen“, begrüßte sie freundlich ihre Freundin, die mürrisch die Stirn runzelte. Shyari wusste, dass sie morgens nicht ansprechbar war und lächelte. Im Grunde war ihr das sogar recht, denn Feanna konnte einem selbst gehörig auf die Nerven gehen, wenn ihr Redefluss erst einmal seinen Lauf nahm.
„Wo ist der Waschlappen“, brummte Feanna und sah sich suchend um.
„Dort in der Ecke“, antwortete Shyari und wies mit einem Löffel, mit dem sie gerade die Haut auf der Milch abschöpfte, in die entsprechende Richtung.
„Aha.“ Feanna nahm ihn und schlurfte hinaus, um sich zu waschen.
„Der Wetterumschwung bekommt dir wohl nicht, was?“ rief Shyari ihr hinterher und nahm Teller und Besteck, um sie zum großen Tisch in dem Wohnraum zu tragen.
„Sieht ganz so aus“, rief Feanna zwischen plätschernden Geräuschen zurück, „ich träume schlecht.“
„Das wird eher daran liegen, dass du…“ fing Shyari an, unterbrach sich jedoch schnell. Es war vielleicht nicht gut, Feanna auf ihre Inaktivität anzusprechen. Sie würde sich dadurch nutzlos fühlen.
„Was?“ kam es von Feanna zurück.
„Nichts, ich hab es schon gefunden“, log Shyari und deckte weiter den Tisch.
Feanna kam frisch und wohlriechend zu ihr, setzte sich und ließ sich bedienen.
Da fielen Shyari die Worte ihrer Freundin ein, die sie im Schlaf gesagt hatte. Sie setzte sich ihr gegenüber. „Du hast im Schlaf geredet“, meinte sie dann.
„Wirklich?“ Feanna blickte sie unbehaglich an. „Was hab ich denn gesagt?“
„Du hast gesagt, dass nichts über den Geruch von ungewaschenen Füßen geht und du heimlich in Khiron verliebt bist.“ Shyari redete in einem ernsten, ungläubigen Tonfall, musste sich jedoch krampfhaft ein Grinsen verkneifen. Khiron war ein raubeiniger, untersetzter Zwerg mit den eindringlichsten Augen, die Shyari seit langem gesehen hatte und der Feanna aufrichtig bewunderte. Sie dankte es ihm, indem sie ihm die kalte Schulter zeigte und sich sogar abfällig über ihn äußerte.
Nun starrte sie Shyari entgeistert an. „Das meinst du nicht ernst, oder?“
Shyari war eine grundehrliche Person und sie sah nicht aus, als würde sie Feanna anlügen.
„Ich bin mir nicht sicher, du hast ziemlich undeutlich gesprochen“, meinte Shyari und setzte einen nachdenklichen Gesichtsausdruck auf. „Aber ich meine, genau das gehört zu haben.“
„Das hab ich wirklich gesagt?“ Feanna wirkte ehrlich entsetzt. „Auch das mit den Füßen?“
Nun musste Shyari doch lachen. „Wieso, stimmt es etwa?“ fragte sie und lachte noch mehr.
Feanna sah sie wütend an. „Weißt du, was du bist?“ fragte sie.
Shyari schüttelte kichernd den Kopf.
„Meine beste Freundin“, sagte Feanna und stöhnte, zwinkerte jedoch auch dabei. „Nun sag schon, was hab ich denn gesagt?“
Shyari trank einen Schluck heißer Milch, bevor sie sagte: „Irgendwas von Beweisen, die man sammeln muss.“
Feanna runzelte die Stirn. „Seltsam, dass ich so daran denke. Davon habe ich auch geträumt. Es hatte irgendetwas mit Quiona zu tun. Ich träume davon nicht zum ersten Mal. Manchmal denke ich…“ sie zögerte.
„Was?“ hakte Shyari nach.
„Na ja…“ Feanna klang verlegen. Sie seufzte einmal tief. Dann fuhr sie fort: „Manchmal denke ich, dass es nicht am Wetter liegt. Es ist wie eine Art Vision.“ Sie wich Shyaris belustigtem Blick aus. „Ich weiß, das klingt lächerlich.“
„Das tut es“, bestätigte Shyari. „Vor allem deswegen, weil du nicht der Typ für sensiblere Empfindungen bist. Davon abgesehen hast du vielleicht von den anderen etwas aufgeschnappt, was du wieder vergessen hast, jedoch noch in deinem Unterbewusstsein vergraben liegt.“
„Das ist es ja eben“, widersprach Feanna, „ich habe die anderen schon lang nicht mehr gesehen. Quiona fast eine Ewigkeit nicht. Saria ist nicht da. Glaub mir, ich weiß nichts, was du nicht auch wüsstest.“
„Kommt sonst noch etwas in deinen Träumen vor?“ fragte Shyari argwöhnisch.
Feanna überlegte kurz. „Ja“, meinte sie schließlich unsicher, „ein…Zimmer oder ein Eingang. Ein Kronleuchter. Aber das hielt ich für unwichtig.“
„Wir haben keinen Kronleuchter“, bemerkte Shyari.
„Das weiß ich auch.“
„Tja…wir werden sehen, was sich ergibt. Ich werde demnächst mit den anderen des Sechsten Hauses reden.“
Somit war das Thema für diesen Tag beendet; sie machten sich daran, den Tisch abzuräumen und diesmal half Feanna, von ihren eigenen Gedanken noch eingenommen, sogar mit.

Am nächsten Morgen wachte Feanna, mitten aus ihren Träumen gerissen, auf. Sie blickte sich um, sah jedoch niemanden in ihrem Zimmer.
Wütend stieg sie die Treppe hinunter.
„Shyari, wo bist du?“ donnerte es durch das Haus.
Shyari, die soeben das Frühstück zubereitete, wandte sich erschrocken um. „Was ist denn los?“
„Was machst du da unten?“ kam es von Feanna. „Wieso musst du mich wecken?“
„Ich habe dich nicht geweckt“, entgegnete Shyari, du wachst doch sonst nie auf, wenn ich aus dem Bett steige.“ Ihr Gesicht nahm einen besorgten Ausdruck an. „Was, zum Henker, ist denn los mit dir?“
Feanna kam langsam die Treppe hinunter. Dann fing sie zu Shyaris Entsetzen an zu weinen.
„Ich weiß es nicht“, schluchzte sie, „ich wünschte, ich könnte es dir erklären, aber ich kann es einfach nicht.“
Shyari nahm sie in den Arm. „Meinst du, ich würde dich nicht verstehen?“ fragte sie zaghaft.
„Ja, das glaube ich“, erwiderte Feanna und schaute ihr in die Augen.
Das Frühstück verspeisten sie schweigend; Shyari hatte noch niemals eine solche Leere in dem kleinen Haus empfunden. Das Schlimmste jedoch war, dass sie sich bald auf den Weg machen musste.
„Nun, ich…“ fing sie an.
Feanna schaute fragend zu ihr herüber.
Shyari fand keine Worte, um ihrer Freundin eine Erklärung zu bieten. „Ich muss aufbrechen“, sagte sie schließlich.
„Wohin denn?“
„Ich weiß nicht, ich soll helfen, Granit abzubauen.“
„Das kann ich ja nicht“, meinte Feanna bitter.
„Nein, das kannst du nicht“, stimmte Shyari zu.
„Also bleibe ich hier allein?“ Feannas Augen hafteten auf ihr.
„Nur für eine kurze Zeit“, erwiderte Shyari und ein Unbehagen breitete sich bis in ihre Zehenspitzen aus. „Ich will dich ja nicht allein lassen, weißt du…“
„Ach, willst du nicht?“ begehrte Feanna auf. „Wenn du es nicht wollen würdest, würdest du es auch nicht tun.“ Sie schaute auf ihr mit Schinken belegtes Brot und schwieg.
„Du weißt, dass du wie eine Schwester für mich bist“, versuchte Shyari einzulenken. „Das weißt du.“ Ja, tatsächlich, dachte sie insgeheim, sie ist wie eine Schwester für mich. Wenn sie das bloß selbst wüsste.
„Geh nur“, meinte Feanna schließlich, „ich weiß doch sowieso, dass etwas passieren wird.“
„Du bist mir unheimlich“, sagte Shyari. „Bist du mit Quiona verwandt?“
„Nein“, meinte Feanna, „aber es tröstet mich, dass du so denkst.“
Shyari schaute sie erstaunt an.

„Nun, das hätten wir“, meinte sie, als ihre Koffer gepackt waren. „Du weißt, ich lasse dich ungern allein. Ich würde dich gern mitnehmen…“ sie bereute sofort, dass sie dies gesagt hatte.
Feanna sprang auf. „Geh endlich!“ schrie sie. „Ich kann wohl ohnehin nichts tun. Nun geh!“
Shyari nahm schweigend ihre Koffer auf und zog sie durch die offene Tür. „Ich schreibe dir“, sagte sie.

Auf dem Weg von Carroll Island, ihrem Leben und weit fort von Feanna wischte sich Shyari Tränen aus ihren grünen Augen. Sie konnte ihre Freundin nicht verstehen. Was war bloß los mit ihr? Vielleicht, dachte Shyari, ist sie mir sogar um einiges voraus; sie versteht womöglich mehr, als ich es erahnen könnte.
Sie traf zwei Tage später in Razad ein.
„Es wurde wirklich Zeit, dass du kommst“, empfing sie Sirakat, ein Mitglied des Sechsten Hauses. „Wir brauchen so viel Granit, wie wir nur kriegen können.“
„Ich helfe, wo ich kann“, entgegnete Shyari, „doch wozu?“
„Das sage ich dir gleich“, antwortete Sirakat.
Shyari zückte ein Blatt Papier, um die neuen Informationen für Feanna aufzuschreiben.

Liebe Feanna,

wir brauchen Granit, um auf der Isle of Dawn ein neues Gildendorf aufzubauen. Du weißt ja, da fehlen noch Häuser, die wir brauchen, um so viel Platz wie möglich zu haben.
Quiona und ein paar andere habe ich bisher noch nicht getroffen, daher kann ich dir nicht sagen, was sie treiben. Ich habe nur erfahren, dass sich ein Teil der Gilde mittlerweile regelmäßig in Bordinars Cleft trifft, um dort Beweise zu sammeln (ich kann dir jedoch nicht sagen, was für Beweise oder was sie bewirken sollen).
Vielleicht erfährst du es ja in deinen Träumen.
Ich liebe dich und hoffe, dass du dir nicht allzu viele Sorgen machst.

Deine Shyari


Feanna, aus dem jüngsten Traum erwacht, saß aufrecht in ihrem Bett und fragte sich, was ihre Alpträume beudeuten.
Niemand konnte ihr helfen.
Trotzdem nahm sie nach dem Frühstück einen Greifen nach Celestine Ward und hatte das dumpfe Gefühl, weiter nach Razad reisen zu müssen.
Wäre doch Saria hier, dachte sie. Sie vermisste ihre Schwester entsetzlich. Sie schaute sich um.
„Was machst du denn hier?“ sagte eine Stimme hinter ihr. Sie drehte sich um. Dort stand Khiron, der Zwerg, der sie bewunderte. Feanna konnte ihn nicht ausstehen.
„Was willst du von mir?“ entgegnete sie.
„Nun, ich sah dich…“ er geriet ins Stocken. „Darf ich dich vielleicht zu einem reichen Mahl einladen? Mir würde es eine Freude sein.“
Feanna blickte ihn an. Dieser Zwerg hatte keine Erfahrung im Kampf; er würde sie nicht beschützen können. Er wusste nicht, wo Shyari war und nichts von möglichen Plänen der Gilde. Er wusste nicht, dass Feanna nichts geblieben war, seitdem Shyari fort war und sich an diesem Nichts auch nichts ändern würde. Trotzdem brauchte sie einen Platz zum Schlafen. „Ich habe keinen Hunger“, sagte sie, „aber ich bin weit gereist und würde mich gern ausruhen.“
Khiron nickte. „Natürlich. Folge mir.“
„Wie gefällt es dir hier?“ fragte er, nachdem er für Feanna ein Zelt aufgeschlagen hatte. Sie antwortete nicht. Sie nahm ihn nicht wahr und stand stocksteif inmitten des Zeltes.
Khiron berührte sie an ihrer Schulter; für einen Zwerg war er sehr groß und Feanna war sehr klein.
Sie fuhr herum. „Was ist denn los?“
„Es tut mir leid, wenn ich dich gestört habe“, sagte Khiron. „Wir sollten uns besser Schlafen legen.“
In dieser Nacht sprang Feanna mehrmals im Bett auf, ohne aufzuwachen. Sie träumte von Beweisen, die sie nicht zu deuten wusste.
Früh am Morgen wachte sie auf. „Ich bin entsetzlich krank“, sagte sie.
Khiron blickte sich um. „Was fehlt dir denn?“
„Ich weiß nicht, ich glaube, ich habe Fieber.“ Feanna tastete ihre Stirn ab.
„Wenn ich mal…“ fing Khiron an, doch er wurde schnell unterbrochen.
„Wage es nicht, mich anzufassen!“
„Ich habe gehört, du hättest seltsame Träume“, erklärte Khiron, „es tut mir leid, dass ich dir nur helfen wollte. Träume können auch durch Fieber hervorgerufen werden.“
Feanna starrte ihn an. „Na gut, dann fasse mich eben an.“
Khiron hob langsam seine linke Hand und drückte sie gegen Feannas Stirn. Er zögerte eine Weile. „Du hast kein Fieber“, sagte er schließlich.

Shyari rann der Schweiß von der Stirn. „Nach dieser ganzen Zeit“, sagte sie, während alle sich von der Arbeit ausruhten, „sollte ich doch schon erfahren, wozu wir das Granit zusätzlich brauchen. Wir haben mehr davon abgebaut, als es für das Gildendorf auf der Isle of Mann brauchen.“
„Halt“, unterbrach Rheannon sie. „Willst du mir damit sagen, du wüsstest es nicht?“
„Nein“, sagte Shyari schlicht.
„Du weißt es wirklich nicht?“ Rheannon starrte sie ungläubig an; ebenso all diejenigen, die beim Granitabbau geholfen hatten.
Shyari blickte sich verunsichert um. „Wie ich schon sagte…“
„Warum hast du dann geholfen?“ fragte Akiada, ebenfalls ein Mitglied der Gilde.
„Nun, das habe ich doch soeben erklärt“, sagte Shyari. „Weil das Dorf nicht aufgebaut war.“
„Saria weiß, was zu tun ist, doch sie ist nicht da und hat euch scheinbar nichts mitgeteilt“, sagte Rheannon und schaute Shyari ernst an. Shyari hob langsam den Kopf. „Ich bin mir nicht sicher, ob es das ist, woran ich gedacht habe“, sagte sie. „Und Saria hat uns nichts gesagt. Sie ist zu sehr mit Kyron beschäftigt.“
„Du tust so, als würdest du im Grunde wissen, worum es geht“, meinte Rheannon.
„Das weiß ich vielleicht auch.“
„Dann weiß ich nicht, welche Bedenken du noch hast.“
„Feanna würde es in diesem Augenblick nichts nützen.“
„Aber später.“
„Ja, das schon.“ Plötzlich war Shyari nicht mehr so betrübt wie zu Anfang.
Sie war versucht, einen weiteren Brief an Feanna zu schreiben, doch sie tat es nicht.

„Hast du einen Beweis bekommen?“ Quiona rannte wie ein Geist in Bordinar`s Cleft umher. „Ich bekomme aus niemandem etwas heraus. Wie soll ich dem Sultan denn Beweise liefern?“
„Was glaubst du, wie lange ich das bereits versuche?“ entgegnete Sirakat und rannte an Quiona vorbei. „Vielleicht wollen die Zwerge hier ja doch noch etwas preisgeben.“
„Tja, das hoffe ich“, meinte Corys, der neben Quiona stand. „Ich habe jedoch, um ehrlich zu sein, keine allzu große Hoffnung, dass wir die Informationen bald bekommen. Die Zwerge sind einfach zu verstockt.“
„Ja, das merke ich“, stimmte Quiona zu. „Ich kann es kaum noch ertragen, mit ihnen zu reden.“
Als darauf keine Antwort kam, zuckte Quiona mit den Schultern und folgte ihren Gefährten.

Beweise, Beweise!
Feanna wachte schweißgebadet auf. Wo, bei allen Göttern, blieb Shyari?
Und was hatten ihre Träume zu bedeuten?
Erst gestern hatte sie einen recht seltsamen Brief von Quiona bekommen. Sie konnte ihn nicht deuten.
Sie glättete mehrmals das Papier, ehe sie ihn noch einmal las:

Feanna,

ich finde einfach keine Beweise, die ich dem Sultan übergeben könnte. Ich habe gehört, du hättest seltsame Träume gehabt. Vielleicht kannst du sie uns offenbaren? Ansonsten wärst du tatsächlich völlig nutzlos.

Deine Quiona



Feanna starrte auf den Brief. Sie hasste Quiona; erst recht nach diesem Brief, jedoch wusste sie dennoch nichts mit deren Worten anzufangen.
Was für Beweise?
Wieso Granit?
Und weshalb diese Träume? Was hatte Quiona im Sinn? Sie beschloss, endlich nach Razad zu reisen, zu Shyari.

Es war still in Razad. Niemand war dort, um sie zu empfangen. Feanna bekam es mit der Angst zu tun. War ihre Gilde in Gefahr? Welche Beweise brauchte sie? Und wieso sah sie immer und immer wieder Quiona in ihren Träumen? „Dieses Miststück wird uns eh Verderben bringen“, dachte sie.
Sie ließ die Schultern hängen, raffte sich jedoch bald wieder auf.
„Ich helfe dir“, sagte eine Stimme neben ihr.
Feanna sah sich um und schaute angewidert auf Khiron, den Zwerg.

Shyari blickte sich um. „Wie weit sind wir?“ fragte sie Rheannon.
„Genügend Granit haben wir“, antwortete diese. „Doch ich hoffe, dass Sirakat ebenso erfolgreich ist.“
Shyari nickte.

„Ich halte es langsam nicht mehr aus.“ Feanna stütze ihr Gesicht auf ihre Hände.
„Ich, offen gestanden, auch nicht.“ Khiron legte ihr einen Arm um die Schultern und Feanna ließ es über sich ergehen.
„Ich schon“, sagte eine Stimme hinter ihnen.
Feanna drehte sich um. „Saria! Saria!“

Sie saßen an einem Lagerfeuer in Razad.
„Woher wusstest du, wo ich bin?“ fragte Feanna.
„Ich bin deine Schwester“, antwortete Saria.
Feanna erhob sich schnell und schritt auf den weiten Strand zu. Saria folgte ihr. „Willst du nicht wissen, was es mit den geheimen Informationen auf sich hat?“ fragte sie.
Feanna drehte sich blitzartig um. „Doch, sag es mir!“
„Nun, es ist nicht einfach, die Gilde zu versorgen. Daher mussten viele von uns besondere Maßnahmen ergreifen. Manche davon waren nicht edel.“
Feanna schaute sie fragend und besorgt an. „Du meinst Quiona?“
Saria lächelte. „Viele des Sechsten Hauses mussten ihr Gegenüber mit Worten bekämpfen und auch täuschen, damit sie ihm die richtige Information entlocken konnten.“
„Und woher weißt du das? Und was hat das alles zu bedeuten?“ Feanna wandte sich aus den Armen Sarias, der sich um sie gelegt hatte. „Und wo ist Shyari?“
„Du bist immer noch die selbe“, sagte Saria, nachdem sie Feannas Hand mit den Augen verfolgt hatte.
Dann zwinkerte sie ihr zu. „In den Shores of Darkness gibt es für dich in nächster Zeit genug zu tun. Mehr, als ich tun könnte.“ Sie hielt kurz inne. „Und ich glaube, wenn du siehst, wovon du in Wahrheit geträumt hast, ohne, dass du es wusstest…dann weißt du, dass Shyari weiterhin beschäftigt sein wird…aber vielleicht kann ich es dir ja erklären, als deine Schwester. Und all die anderen, die du verachtest.“
Feanna schaute auf. „Aber ich verachte Khiron doch nicht. Und auch die anderen nicht. Ich…“
„Doch, das tust du“, sagte Saria bestimmt, „aber es tat dir gut, als Khiron bei dir war, oder etwa nicht? Warte“, fügte sie schnell hinzu, als Feanna aufgebracht davon eilen wollte, „er kann dir doch auch gut tun, ohne dass du ihn verachtest.“
Feanna drehte sich zu Saria um. „Weißt du, ich mag deine Gedankengänge nicht“, meinte sie, aber was ist nun das große Geheimnis?
Saria schwieg sehr lange.
„Komm mit“, sagte sie dann.

„Wir haben es!“ rief Quiona. „Ich kann es kaum glauben.“
„Ich auch nicht“, stimmte Sirakat ihr zu, „ich hätte ebenfalls nicht gedacht, dass wir dem Sultan so schnell eine Nachricht überbringen würden.“
„Nun, dann wird es Zeit dafür.“ Quiona steckte eine Hand in ihren Beutel und holte ein Bündel an Informationen heraus, die sie und die anderen gesammelt hatten. „Lasst uns sogleich aufbrechen.“
„So einfach geht das nicht“, wandte Sirakat ein, „bedenke, wie viel Geld wir noch brauchen.“
„Das stimmt.“ Quiona schaute betrübt drein; dennoch war sie froh, dass sie in ihrem Vorhaben so weit gekommen waren.
Da trat Wuestenbaer zu ihnen.
„Ich war nicht untätig“, sagte er.
„Ich auch nicht“, ergänzte Lamay. „Und Carigans Schwestern haben sich ebenfalls sehr darum bemüht, uns Geld zu besorgen.“
Sie zählten das zusammen getragene Geld und ein Lächeln breitete sich über Quionas Lippen aus.

Sie reisten zu der Isle of Mann, während der Wind über ihnen rauschte.
Quiona übergab die Informationen an Taigabaer und der Rest des Sechsten Hauses übergab ihm
„Ich hoffe, Shyari ist bald bei mir“, sagte Feanna. "Außerdem hättest du mir gleich sagen können, worum es geht." Sie schaute Saria vorwurfsvoll an.
"Wie hätte ich das tun können? Ich war nicht hier. Shyari hätte es dir sagen müssen, aber sie wusste es ebenfalls nicht. Aber nun steig auf und schau dir den Platz an, der von dem Sechsten Haus gekauft wurde und an dem unsere neue Gildenhalle gebaut wird.“ Saria drückte ihren Arm.
Feanna starrte sie ungläubig an.
„Das Gildendorf ist beinahe vervollständigt“, fuhr Saria fort. „Doch die Beweise, wie du sie nanntest, brauchten wir für ein neues Grundstück. Es tut mir leid, dass ich fort war und dir nichts davon gesagt habe. Es betraf den Bau einer Gildenhalle.
Dein Traum hat sich scheinbar verwirklicht, Schwester. Und nun schau nicht mich an, sondern die Insel.“

Feanna nieste einmal und stieg auf ihr Reittier, bevor Khiron ihr seine Hand auf die Stirn legen konnte.

Feanna über der Insel <<<ich weiß, es ist schlecht, aber mir fehlte da ansonsten die Würze :P

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Ein Freund ist jemand, der dich mag, obwohl er dich kennt.
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 Betreff des Beitrags: Re: Kleine Geschichte
BeitragVerfasst: Mo 19. Dez 2011, 00:32 
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Gildenmitglied

Registriert: Sa 1. Mär 2008, 19:10
Beiträge: 1484
So, eigentlich schreibt man wegen der Löschung eines Chars nicht gleich ne Geschichte, aber mir war danach und er braucht ein anständiges Begräbnis :P

Die Weihnachtszeit brach an und in der Gildenhalle des Sechsten Hauses tummelten sich ihre Bewohner.
Überall in ihr war reges Treiben; Möbel wurden aufgestellt, verschoben und wieder entfernt. Morxaine stand, die Stirn runzelnd und ein wenig verzweifelt in der Eingangshalle. „Ich brauche mehr Möbel! Und vor allem Besteck und Geschirr! So können wir keine Gäste einladen. Wenn doch jemand…“ Sie unterbrach sich, als Feanna an ihr vorbeistürmte und beinahe mit ihr zusammenstieß. „Wo ist die Toilette?“ schrie sie und blieb stehen. „In diesem verflucht großen Haus findet man überhaupt nichts!“
„Zum Eingang raus und dann nach links“, antwortete Morxaine zerstreut und widmete sich wieder ihren Gedanken.
Feanna rannte weiter und stolperte dabei über ein Geschenk, das jemand mitten in die Halle gelegt hatte. Kurz, bevor ihre Hände den Boden erreichten, wurde sie von starken Händen aufgefangen. Sie schaute erschrocken hoch.
„Nicht so stürmisch“, sagte Khiron und gab sie wieder frei. Feanna, der die Röte ins Gesicht geschossen war, murmelte etwas und lief zur Eingangstür.
Saria trat neben Khiron und schaute ihr nach. „Es ist tatsächlich schwer, sich hier zurechtzufinden“, meinte sie. „Solche Ausmaße kannten wir noch gar nicht. Die Toilette wird sie sich jedoch nun unauslöschlich ins Gedächtnis eingeprägt haben.“
Khiron grinste. „Ich hätte sie ja gern hingeführt, aber…“
Saria sah ihn pikiert an. „Also wirklich.“
Shannon, die unerschrockene Schamanin, tippte Khiron auf die Schulter. „Ich dachte, du wolltest mir beim Tragen der Kommode dort drüben helfen.“ Sie zog die Augenbrauen hoch.
„Aber gern doch“, dröhnte Khiron übertrieben freundlich und folgte ihr. „Also, wir müssen sie diese Treppe hoch tragen, an den Fackeln vorbei und dann…“ begann Shannon, wurde jedoch unterbrochen. „Ich weiß. Ich bin nicht Feanna.“ Ein seltsames Gefühl breitete sich in seiner Brustgegend aus.

Zur gleichen Zeit packte eine kleine Hochelfe eilig ihre Koffer. Viel besaß sie nicht, doch sie hoffte, dass sich dies ändern würde, wenn sie endlich ihre Heimat, die Isle of Dawn, verlassen würde und die anderen Kontinente bereisen durfte. Doch zuerst musste sie sich hier etlichen Prüfungen stellen und diese bestehen. Sie hoffte, dass sie nicht allzu schwierig sein würden.
Wie sehr sie sich freute, in die große, weite Welt hinaus zu treten! Und endlich ihre Cousine Fennah zu sehen. Doch dies konnte noch lange dauern. Sie blickte nachdenklich auf die kleinen Hütten, die sie bald hinter sich lassen würde.
Ein paar Regentropfen fielen vom Himmel. Sie flüchtete sich unter einen Baum und fasste unter ihren Umhang. Dann zog sie einen arg mitgenommenen Brief heraus, stellte fest, dass er nicht nass geworden war, glättete ihn sorgfältig und verstaute ihn zu den wenigen Sachen, die sie hatte.

„Nun, weißt du, Morxi, ich glaube nicht, dass dieses Rentier dort hinpasst.“ Sirakat schüttelte zweifelnd den Kopf. „Ich finde es sowieso erbärmlich, was heutzutage alles hergestellt wird. Ich habe es satt, auf einem Rentier reiten zu müssen und will außerhalb dieser Nötigung auch keines an einem anderen Ort sehen.“
„Ach, erbärmlich findest du das?“ Morxaine drehte sich blitzschnell zu ihr um. „Weißt du, wenn es dich so stört, wie ich die gesamte Gildenhalle einzurichten versuche, dann nehme ich es eben wieder weg.“
„Aber Morxi, nicht doch…“ setzte Sirakat an, doch es war zu spät. Morxaine stopfte die Statue wütend unter ihren Umhang und rauschte davon. Sie hatte ohnehin noch genug im Wirtshaus der Gilde zu tun. Sirakat seufzte.
„Und, wie weit ist Morxaine mit ihren Plänen gekommen?“ fragte in diesen Moment Shannon hinter ihr. „Weißt du, ich würde ja…“
„Ach, lass mich doch bitte zufrieden“, unterbrach Sirakat sie.
Shannon ging verwundert davon. „Ach, Saria, suchst du etwas?“ rief sie dieser zu, als sie sie in der Nähe des Weihnachtsbaumes entdeckte.
„Ja“, entgegnete Saria, „wie wäre es mit einer kompletten Karte aller Höhlen von Telon?“
Sie zwinkerte.
Zu ihrer Verwunderung antwortete Shannon: „Kein Problem, die habe ich schon längst aufgezeichnet. Ich bringe sie euch allen bald.“
Saria lächelte kopfschüttelnd, während Taigabaer seiner liebsten Beschäftigung nachging: Sich auf den in der Eingangshalle aufgestellten Thron zu setzen.
Sie ging zu Visionist hinüber, der seit einer geraumen Zeit in einer Ecke der Halle stand. „Ist alles in Ordnung mit dir?“ fragte sie.
„Wie…was?“ Visionist drehte sich verwirrt um. „Ja, alles in Ordnung. Deswegen musst du mich nicht gleich so anschreien.“
„Na, dann kannst du ja hier mithelfen, oder?“
Visionist verdrehte die Augen. „Ja, schon dabei.“
Saria fragte sich insgeheim, wann die Gildenhalle vollständig eingerichtet sein würde. Mit so einer gewaltigen Räumlichkeit hatte es noch niemand des Sechsten Hauses zu tun gehabt. Doch irgendwie würden sie es schon schaffen.

„Was ist eigentlich mit Khiron los?“ fragte Fennah ihre beste Freundin Quiona. „Er sieht nicht besonders gut aus.“
Quiona, die wider Willen beim Schmücken des Weihnachtsbaums half – „Nicht einmal Eingeweide darf man daran aufhängen“, hatte sie gemurrt, „dabei wäre dies das einzig Nützliche an diesem grauenhaften Weihnachtsbrauch“ – warf einen Blick auf den genannten Zwerg. „Er sieht tatsächlich anders aus“, stellte sie fest.
Plötzlich gab es einen Blitz. Quiona ahnte bereits, wer diesen ausgelöst hatte, bevor sie nur noch halb so groß war wie zuvor, ebenso wie Khiron, der in unmittelbarer Nähe stand.
Sie verdrehte die Augen. „Du hast mitgehört, oder?“ wandte sie sich an Carigan, die erfolgreiche Klerikerin.
„Ich? Nein. Wie kommst du darauf?“ verteidigte sich Carigan.
„Ich sehe es an deinem dreckigen Grinsen“, sagte Quiona, „und das gefällt mir. Aber ich kann bei den Göttern kein ernstes Gespräch als Gnom führen.“
„Oh, ein ernstes Gespräch“, meinte Carigan, „das ist nichts für mich. Zumal es sich bei euch beiden um nichts Wichtiges handeln kann.“
„Ich sehe da ein schlagendes Herz in deiner Brust.“
„Nun hab dich nicht so. Ich bin schon weg.“ Carigan hatte ohnehin genug gesehen; sie beschloss, sich in ihrem eigenen, privaten Heim in ihr Bett zu begeben.
„Was meinst du mit ‚anders’?“ griff Fennah das vorhergegangene Gespräch wieder auf.
Quiona überlegte. Sie war erstaunlich geduldig geworden, seitdem sie mit der sanften Fennah befreundet war. „Nun…“ begann sie, „ich kann es nicht erklären.“
Sie warf abermals einen prüfenden Blick auf Khiron, der ziellos wie ein Geist durch die Halle zu schweben schien – trotz seines kompakten Körperbaus. Der Körperbau, das war es, dachte sie. „Er sieht dünner aus“, schloss sie, „Und trauriger.“
Fennah, die die analytischen Qualitäten ihrer Freundin zu schätzen wusste, starrte nun ebenfalls auf den Zwerg. „Du hast Recht“, meinte sie. „Glaubst du, es fehlt ihm etwas? Ist er krank?“
„Das kann ich dir nicht sagen“, antwortete Quiona. „Es scheint so, als würde er auf etwas warten.“ Sie musste plötzlich an Feanna denken, die noch immer nicht in die Halle zurückgekehrt war. Sie blickte Fennah in die Augen und diese verstand.
„Nun lass uns diesen ekelhaften Baum weiter schmücken.“ Sie verzog bei diesem Gedanken angewidert die Mundwinkel nach unten.
Khiron hielt es in dieser großen Halle mit den vielen Gefährten nicht länger aus. Er ging hinaus, um frische Luft einzuatmen, obwohl es in der gewaltigen Halle alles andere als stickig war. Die Sonne war bereits untergegangen und verschaffte ihm tatsächlich ein wenig Kühle. Ich werde mich wohl nie an Qalia gewöhnen, dachte er bei sich. Wehmütig erinnerte er sich an seinen Heimatort Bordinar`s Cleft. Dort war es zwar immer kalt gewesen, jedoch ertrug er als Zwerg die Kälte leichter als Hitze.
Er ging hinunter an den Strand und setzte sich, während die Sterne über ihm funkelten. Ob Deiana seinen Brief bekommen hatte? Er versuchte, sich auf diesen Gedanken zu konzentrieren, während er immer wieder das Bild Feannas vor Augen hatte. Es war entsetzlich. Er würde ihr nicht mehr helfen können.
Wehmütig erinnerte er sich an glücklichere Zeiten; Zeiten, in denen er keine Angst haben musste. Zeiten, in denen er für geliebte Menschen da sein konnte.
Wo Feanna nur blieb…er lauschte dem Zirpen der nächtlichen Grillen, als ihm plötzlich jemand an die Schulter tippte.
Er drehte sich um.
Dort stand Kyron, Sarias Geliebter und sein eigener Seelenverwandter. Khiron musste daran denken, dass er und Kyron beinahe dieselben Namen hatten. Hatte dies etwas zu bedeuten? Waren sie etwas Halbbrüder, so wie Feanna und Fennah Stiefschwestern waren?
Nein, sagte er sich in Gedanken, du denkst nur zu viel über das Schicksal nach. Er schaute zu dem hoch gewachsenen Kojani auf.
Kyron setzte sich mit traurigen Augen zu ihm. „Und nun erzähl mir, was dich bedrückt“, sagte er.
Und Kyron tat es.

„Ich werde jetzt in mein Bett gehen“, sagte Eiric, die sich erst in jüngster Zeit der Gilde des Sechsten Hauses angeschlossen hatte. „Es ist reichlich spät.“
„Das ist eine gute Idee“, pflichteten die anderen ihr bei.
Morxaine war längst zu Bett gegangen.
Saria war ebenfalls müde; doch Kyron war vor einer ganzen Weile verschwunden und sie fragte sich, was vor sich ging. Sie ging zu Feanna, die vor dem Kamin saß. Eine Weile saßen sie schweigend nebeneinander, dann ergriff Feanna das Wort. „Ich weiß nicht…er versucht es nun schon seit Monaten. Ich bin beinahe versucht, auf ihn einzugehen.“
Saria schaute sie an, sagte jedoch nichts. Stattdessen legte sie einen Arm um ihre Halbschwester.
„Aber du weißt doch, ich liebe ihn nicht. Zumindest nicht so, wie du Kyron liebst“, fuhr Feanna fort. „Manchmal glaube ich, dass es so nicht sein sollte. Ich kann jedoch nichts dagegen tun.“
„Ich verstehe dich“, sagte Saria. „Aber du hast ihn gern, sonst würdest du nicht darüber nachdenken. Ich glaube, es soll so sein, wie du es fühlst.“
Sie starrten weiterhin ins Feuer.

„Ich glaube, er ist verliebt in Feanna“, meinte Quiona unvermittelt.
Fennah sah sie erstaunt an. „Meinst du wirklich? Sie ist doch viel größer als er…“
„Nun, so viel größer ist sie auch nicht“, entgegnete Quiona, „und er hat sehr eindrucksvolle Augen. Ich glaube, ich werde ihn vermissen.“
„Vermissen? Wieso sagst du das?“ fragte Fennah erstaunt. „Er geht doch nicht weg.“
„Ich bin mir da nicht so sicher“, meinte Quiona.
Ihr Herz wusste jedoch bereits, dass er es doch tun würde. Sie würde Khiron als den kräftigen Zwerg, den sie kannte, in Erinnerung behalten.

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khiron2.jpg


Spät in der Nacht kam Kyron ohne seinen Freund in die Halle zurück.
„Es tut mir leid“, sagte er zu Saria, die immer noch vor dem Kamin saß und nachdachte. „Es war wirklich wichtig.“
„Was geht da vor?“ wollte Saria wissen.
Kyron zeigte ihr den Brief.

„Du solltest noch einmal zu ihr gehen“, sagte er am Morgen zu seinem Freund. „Du hast nur etwas zu gewinnen.“
„Das werde ich tun“, erwiderte Khiron.
Sie standen vor dem Haus der Halbschwestern auf Carroll Island. Es war eisig kalt und das Meer schien zu gefrieren. Doch immer noch konnte er das Rauschen hören. Alles erschien ihm unwirklich. Er hoffte, dass sich dies im nächsten Moment ändern würde und klopfte beherzt an die Tür. Als niemand reagierte, klopfte er abermals. Bald darauf hörte er Schritte im Inneren und ein wenig später öffnete eine verschlafene Feanna die Tür. Sie schien bei seinem Anblick regelrecht zu erstarren. „Guten Morgen“, brachte sie hervor.
Unvermittelt wurde sie von dem festen Griff Khirons umklammert, der ihr beinahe den Atem raubte. Sie wehrte sich dagegen, doch er hielt sie unerbittlich fest.
„Ich wollte mich nur verabschieden“, sagte er.
Feannas verschlafene Augen wurden ein wenig größer. „Abschied? Wo gehst du denn hin?“
„Das tut nichts zur Sache. An meine Stelle wird jemand anders treten. Alles, was ich will, ist dass ihr diese Person gut behandelt. Tut mir alle den Gefallen.“ Er umarmte sie abermals und wandte sich dann ab. Langsam schritt er davon, während Feanna ihm verblüfft nachstarrte.
Aus einem ihr unerfindlichen Impuls heraus rief sie ihm nach: „Warte! Du kannst nicht gehen, ohne dass du weißt, dass ich dich liebe!“
Er drehte sich um und lächelte. „Ja, das weiß ich und ich liebe dich auch, aber auf eine andere Art. Denke an meine Worte.“ Damit war er im morgendlichen Nebel verschwunden.
„Was für Worte?“ Feanna hatte das Gefühl, als würden sich Hundertfüßler in ihrem Magen winden.
„Nun, das Sechste Haus bekommt bald Besuch“, sagte Kyron, „und den solltet ihr alle gut empfangen. Was mit Khiron passiert, steht in diesem Brief.“

Die kleine Hochelfe sah sich in einer Höhle auf der Isle of Dawn um.
Ich schaffe das nicht, dachte sie verzweifelt. Vielleicht kann mir ja jemand helfen.
Gewissensbisse plagten sie und sie holte den Brief aus ihrem Beutel hervor, um ihn noch einmal zu lesen.

Liebe Deiana,

Ihr wisst, dass es äußerst wichtig ist, Eure Aufgaben zu erfüllen. Ich werde sehr bald das Sechste Haus verlassen und Euch meinen Platz überlassen. Für mich ist dort längst kein Platz mehr. Enttäuscht meine Erwartungen nicht und tut, was Ihr könnt, denn ich werde gehen.
Ich wünsche Euch ein angenehmes Leben auf Telon,

Euer
Khiron.


Nun gut, dachte sie, ich werde mein Bestes versuchen.


Feanna las aufmerksam den ihr von Kyron überreichten Brief.

Verehrte Feanna,

Ihr wisst, dass ich Euch liebe.
Jedoch werde ich Telon verlassen müssen, da es beinahe um Leben und Tod geht. Es ist eine äußerst wichtige Angelegenheit, da ich vor eine Prüfung gestellt werde.
Ich werde nie wieder nach Telon zurückkehren können. An meiner Stelle wird jemand anders für die Gilde kämpfen.
Ich wünsche Euch alles, was Ihr Euch wünscht.

In Ergebenheit,

Euer Khiron.


Sie runzelte verwirrt sie Stirn. Dann setzte sie sich in das hohe Gras und brach in Tränen aus.
„Er wird sterben, nicht wahr?“

Saria versuchte, ihre Trauer zu unterdrücken, doch es gelang ihr nicht. Sie las ihren Brief zum hundertsten Mal.

Mein lieber Kyron,

meine Stunde hat geschlagen und ich werde nicht mehr lange in dieser Welt verweilen.
Dies hat jedoch nichts zu bedeuten, denn wie ich sehe, kommt Das Sechste Haus gut zurecht und was kann ein so schwacher Kämpfer wie ich gegen die stärkeren ausrichten. Ich muss gestehen, dass ich das Ende so schnell nicht erwartet hatte. Jedoch muss ich es wohl akzeptieren.
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ich sterbe. Ich fühle es in mir. Ich werde nach und nach schwächer. Aus diesem Grund habe ich meinen Platz in der Gilde an Deiana, einer Cousine Fennahs, weitergegeben, der letzten aus diesem Familienzweig. Ich hoffe, sie wird allen Ansprüchen genügen, was ich nicht konnte.
Bitte sorge dich um Feanna und lass ihr Deiana eine gute Freundin sein. Sie ist noch sehr jung und braucht eure Unterstützung. Sie weiß nicht, dass ich sterben werde, sagt ihr auch nichts davon.
Ich werde in Frieden mein Schicksal akzeptieren, das verspreche ich.

Khiron


Diesmal konnte Saria lächeln. Laut Kyron hatte er dies tatsächlich getan.

Feanna stürmte durch die Gildenhalle.
„Zum Eingang raus und dann links“, sagte Morxaine, bevor Feanna den Mund aufmachen konnte.
„Danke“, rief sie zurück und dachte an Khiron, der damals bei der Einrichtung ihres eigenen Hauses geholfen hatte und dessen Vermächtnis – darunter auch eine beinahe komplette Rüstung – nun in einer der Truhen lag. Sie dachte daran, wie er auf Halgar gewartet hatte, mit der gesamten Inneneinrichtung, bis er ihnen nach Telon folgen konnte.
Nun war er nicht mehr da, doch in ihrer Erinnerung würde er bleiben.
Sie würde sich um den neuen Besuch kümmern.
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